Donnerstag, 3. Mai 2018

Das Gedenken Allāhs und seine Vorzüge

Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung eines Vortrags zum Thema Gedenken Allāhs
(Link zum Vortrag: https://youtu.be/7x3C6Amh6MY )

Allāh, der Herr der Welten, der Schöpfer aller Dinge, lädt uns in seinem Buch dazu ein, dass Er unserer gedenke:

So gedenkt also Meiner, damit Ich euer gedenke; und seid Mir dankbar und verleugnet Mich nicht.“ (Sūrah al-Baqara - Vers 152)

Wir können diesem Aufruf folgen und uns dessen bewusst sein, dass jedes Mal, wenn wir Allāh gedenken, Er auch uns gedenkt und bei sich und den Engeln erwähnt.

In diesem Artikel soll daher besprochen werden, was das Gedenken ist und wie wir es richtig umsetzen können. Zuerst schauen wir uns die sprachliche Definition an, wie sie der Sprachwissenschaftler Ibn Manẓūr (gest. 711 n.H.) in seinem Werk Lisān al-ʿArab aufgeführt hat. Das Gedenken, arabisch aḏ-Ḏikr, bedeutet erstens das Hüten/Bewahren einer Sache, zweitens das, was auf der Zunge läuft/erwähnt wird und drittens das Wiederholen einer Sache

Abū Bakr Al-Wāsiṯī (gest. 320 n.H.) definiert aḏ-Ḏikr folgendermaßen: “Es ist das Heraustreten aus dem Zustand der Unachtsamkeit in den Zustand der Murāqaba (von Allāhs Anwesenheit) aufgrund der Erdrückung durch die Gottesfurcht und der Intensität der Liebe zu Ihm.” [Ar-Risāla al-Qušayriyya]

Al-Murāqaba ist die Beobachtung, womit das Bewusstsein gemeint wird, mit der wir Allāhs Anwesenheit in unser Gedächtnis bzw. in unser Herz rufen.

Hiernach schauen wir uns einige Verse im Qurʾān an, in denen die Wirkung und die Anwendung des Gedenkens erwähnt werden:

Und das Gedenken Allāhs ist fürwahr das Größte.“ (Sūrah al-ʿAnkabūt – Vers 45) 

Und diejenigen, die - wenn sie etwas Schändliches getan oder gegen sich gesündigt haben - Allāhs gedenken und für ihre Sünden um Vergebung flehen…“ (Āli ʿImrān – Vers 135) 

Und wenn ihr das Gebet verrichtet habt, dann gedenket Allāhs im Stehen, Sitzen und im Liegen.“ (Sūrah an-Nisāʾ - Vers 103) 

Wahrlich die Gläubigen sind diejenigen, deren Herzen erbeben, wenn Allāh genannt wird, und die in ihrem Glauben gestärkt sind, wenn ihnen Seine Verse verlesen werden, und die auf ihren Herrn vertrauen." (Sūrah al-Anʿām - Vers 2) 

Es sind jene, die glauben und deren Herzen Trost finden im Gedenken an Allāh. Wahrlich, im Gedenken Allāhs werden die Herzen ruhig.“ (Sūrah Ar-Raʿd - Vers 28) 

Und gedenke deines Herrn in deinem Nafs in Demut und Furcht, mit leisen Worten - des Morgens und des Abends; und sei nicht von den Unachtsamen.“ (Sūrah al-Aʿrāf - Vers 205)

Aus diesen Versen werden einige Punkte deutlich:

• Die besondere Bedeutung und der hohe Stellenwert des Gedenkens ist klar zu erkennen.
• Das Gedenken folgt auf die Sünde oder auf die Versuchung zur Sünde und hilft dabei, das Herz schleunigst zu Allāh zurück zu wenden.
• Das Gedenken erfüllt das Herz mit Ehrfurcht, lässt es erbeben, demütig werden und lässt den Glauben steigen. Dies alles wirkt auf das Bewusstsein des Gläubigen beruhigend/beschwichtigend, so dass die Herzen insgesamt die Ruhe erlangen.
• Das Gedenken kann zur jeder Tageszeit und in jedem Zustand ausgeübt werden.

Den Stellenwert des Gedenkens in der Sunnah des Propheten entnehmen wir dem Kapitel über die Vorzüglichkeit des Gedenkens aus dem Werk Mukāšafatu l-Qulūb von Imām al-Ġazālī (gest. 505 n.H.), der eine Reihe von Überlieferungen erwähnt, aus denen folgende Vorzüge des Gedenkens zu entnehmen sind:

• Der Gedenkende ist im Verhältnis zum Unachtsamen wie ein Lebender im Verhältnis zu einem Toten, oder wie ein mutiger Kämpfer im Verhältnis zu denen, die vom Schlachtfeld fliehen.
• Das Gedenken verringert die Sünden, weil es den Diener ständig mit Allāh in Verbindung bringt, so dass das Herz weniger von den Versuchungen heimgesucht werden kann.
• Das Gedenken ist der vorzüglichste Gottesdienst.
• Der Gedenkende hat bei Allāh eine hohe Stellung.

Diese deutlich zu erkennende Vorzüglichkeit betonen auch die Gelehrten:

Al-Ḥasan al-Baṣrī (gest. 110 n.H.) sagte: „Es gibt zwei Formen von Ḏikr. Der Ḏikr, der abseits anderer in der Einsamkeit mit Allāh geschieht und der Ḏikr, der bei der Annäherung einer Sünde dazu führt, dass man sich davor fernhält. Dieser ist vorzüglicher." [Mukāšafatu l-Qulūb]

Muʿāḏ ibn Ǧabal (gest. 18 n.H.) sagte: „Die Menschen werden (am Jüngsten Tag) am meisten die Zeiten bereuen, in denen sie nicht Allāh gedacht haben.“ [Mukāšafatu l-Qulūb]

Sahl ibn ʿAbdullāh at-Tustarī (gest. 283 n.H.) sagte: “Ich kenne keine abscheulichere Sünde als das Vergessen Allāhs.” [Ar-Risāla al-Qušayriyya
(Hier ist zu erwähnen, dass das Vergessen Allāhs nicht direkt eine Sünde ist, sondern die Tür zu jeder Sünde. Denn alle Sünden beginnen damit, dass man Allāh vergisst/verdrängt)

Das zuvor erwähnte Konzept der Murāqaba, womit der Diener die Anwesenheit von Allāh begreifen soll, thematisiert der in dem vorherigen Artikel besprochene Gelehrte Abu Ṭālib al-Makkī (gest. 386 n.H.) in seinem Werk Qūt al-Qulūb und unterteil sie in sieben Stufen, die insgesamt einen Bewusstseins- bzw. Achtsamkeitswandel darstellen.

Die erste Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…die Taten der inneren Natur ein Resultat im Jenseits hervorrufen werden. 
…der Mensch nur über das befragt werden kann, worauf er sich eingelassen hat. 
…der Mensch nur für seine eigenen Taten zur Rechenschaft gezogen wird. 
…der Mensch nicht die Strafe/den Lohn einer anderen Person bekommen wird.

Die zweite Stufe

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…jede einzelne Tat einen Gegenwert im Jenseits erzeugen wird. 
…jede Verpflichtung vor Allāh ohne Einwände und mit Hingabe zu erfüllen ist.

Die dritte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…keine Größe und Menge an Gottesdiensten ausreichend ist. 
…keine gute Tat die Erheblichkeit des Jüngsten Tages mildern kann. 
…nur die göttliche Gnade vor dem Schrecken des Jüngsten Tages helfen kann. 
…die göttliche Gnade nur durch Bemühungen erlangt werden kann.

Die vierte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…jeder Atemzug/Moment des Lebens aufgedeckt und hinterfragt wird. 
…die drei Fragen Warum? | Wie? | Für wen? gestellt werden.

Die fünfte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…Reue im Augenblick des Todes nichts bringen wird. 
…die Ablenkungen des Diesseits zur Reue führen werden. 
…die potenziellen Verluste nur mit dem Begriff des Todes klar werden.

Die sechste Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…alles Gute durch den Glauben zustande kommt und alle guten Taten durch die Gewissheit angetrieben werden. 
…alles an Spiel und Unterhaltung durch Mangel an Gewissheit beflügelt wird.

Die siebte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…die Achtsamkeit nicht durch leere Hoffnung zustande kommt, sondern ganzheitliche Hingabe bedarf. 
(Feste Gottesdienste, ständige Bewusstseinsübungen, aktiver Verzicht auf unnötige Dinge, Kontrolle der Blicke, der Zunge, der Gedanken usw., Verzicht auf Übermaß und Übung des Verzichtes auf Gemütlichkeit uvm.)
…das Wertschätzen der Zeit und der Augenblicke darin liegt, dass man Augenblicke auch im Moment ihrer Erscheinung produktiv nutzt.

Diese sieben Stufen verdeutlichen einen Wandel des Bewusstseins und der Achtsamkeit gegenüber Allāh und der Verantwortung auf dieser Welt. Zusammengefasst kann man sagen, dass man sich zuerst über die innere Dimension des Menschen bewusst wird, dann das Gewicht der einzelnen Taten begreift, dann über den Jüngsten Tag reflektiert und sich darüber im Klaren wird, dass man nur mit Allāhs Gnade und nicht mit der Quantität der Taten etwas erreichen werden kann. Dann wird man über die einzelnen Momente und die Rechenschaft über diese bewusst, bis man wieder in die Gegenwart zurückkommt und sich selbst schon im Jetzt zur Rechenschaft zieht, ob man denn seine Zeit gut nutzt.

Diese Reise soll den Diener dazu anregen, von der Konsequenz seines Tuns, bis hin zur Vorstellung des Jüngsten Tages zu sich selbst zurück zu kehren und Motivation zu erlangen, um in der Gegenwart das Beste aus seiner Zeit raus zu holen.

Dafür sollte jeder seine Kapazität untersuchen und seine Zeit mit den konkreten Ausführungen des Gedenkens und der Gottesdienste füllen.

…die Allāhs gedenken im Stehen und im Sitzen und (liegend) auf ihren Seiten und über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachdenken (und sagen): ‚Unser Herr, Du hast dieses nicht umsonst erschaffen. Gepriesen seist Du, darum behüte uns vor der Strafe des Feuers.‘“ (Sūrah Āli ʿImrān - Vers 191)

Es gibt somit folgende Formen des Gedenkens:

Gedenken mit den Gliedmaßen  Gebet 
Gedenken mit der Zunge  Preisungen, Lob, Bittgebet 
Gedenken mit dem Verstand  Nachdenken, Besinnen 
Gedenken mit dem Herzen  Betrachtung, Bewunderung

Jeder sollte seinen Tag mit regelmäßigen und zahlreichen Formen des Gedenkens ausfüllen und schmücken, so dass es nicht dazu kommt, Allāh zu vergessen oder zu verdrängen.

Möge Allāh uns von den Gedenkenden und Aufmerksamen machen. Āmīn

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