Freitag, 28. Oktober 2016

Beschwere dich nicht!

Meine lieben Geschwister. Heute möchte ich darüber reden, wie gewaltig es ist, dass der Diener sich Allāh in ein einer Haltung nähert, mit der er seine Unzufriedenheit mit Allāhs Bestimmung äußert oder sich sogar beschwert.

Der ehrenwerte Gelehrte ʿAbdul-Qādir al-Ǧīlānī sagte:

"Wenn du dich also über Ihn (Allāh) beschwerst, während es dir gut geht, du Wohltaten besitzt und dennoch eine Vermehrung verlangst, während du das Vermögen ignorant übersiehst, was du an Wohltaten und Wohlbefinden besitzt, dann wird Er dir erzürnen und diese (Wohltaten) von dir entfernen, deine Beschwerde verwirklichen[1], dein Übel vervielfachen und deine Strafe, die Abneigung und die Abscheu vor dir verstärken. Dann wirst du vor seinem Angesicht in Ungnade fallen. Hüte dich daher aufmerksam davor, dich zu beschweren, sogar wenn man dein Fleisch abtrennen und mit Scheren zerschneiden würde." (Futūḥ al-Ġayb, Fī an-Nahī an aš-Šakwā)




[1] Das heißt, dass Allāh die Beschwerde nun zutreffen lässt, indem er ihn in ein Übel stürzt. Denn es wird vom Propheten (ṣ) berichtet, dass er Allāhs Rede wiedergebend sagte: „Ich bin zu Meinem Diener so, wie er über Mich denkt.“ (Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Ḥadīṯ 7505)

Es ist wichtig, dass der Diener seine Situation einzusehen und abzuwägen hat. Ein großer Fehler, den viele begehen ist, dass sie die Prüfungen, Strafen oder das Leid, welche von Allāh auferlegt werden, nicht für berechtigt empfinden und sie fühlen sich nicht in der Lage, diese zu meistern und werfen Allāh vor, ungerecht und unfair zu sein.

Zuerst sei gesagt, dass der Gerechte (Al-ʿAdl) im Qurʾān sagt:

"Keiner Seele wird auferlegt, was sie nicht zu tragen fähig wäre." (Sūrah al-Baqara, Vers 233, 286 u.a.)

Es ist daher ersichtlich, dass der Vorwurf, Allāh würde mit etwas belasten, zu dessen Geduld eine Seele nicht in der Lage wäre, falsch und abzuweisen ist.

Was die anderen Aspekte angeht, so sei gesagt, dass der Mensch auf zweierlei Arten mit dem Schicksal umgehen muss:

1. Durch die Betrachtung: Der gläubige Diener hat das Schicksal zu begutachten. Er entnimmt daraus gewisse Hinweise und versucht zu verstehen, was Allāh mit der Formung seiner Umstände bezwecken möchte. Denn es ist Allāh, der das Frühere und das Spätere kennt und Er ist aller Dinge kundig. Er mag daher im Schicksal Dinge verhindern, aufhalten, abweisen, gewähren oder sogar auf Dinge hinweisen. So zum Beispiel erkennen wir an der Entwicklung unseres Schicksals, ob etwas gut oder schlecht für uns ist. Derjenige, der die Istiḫāra betet, möchte gewiesen werden und achtet daher, wohin Allāh einen lenken möchte.

Eine weitere Sache, die der Diener durch das Schicksal erfassen kann, ist die Vermutung darüber, wie die eigene Stellung bei Allāh sein könnte. Wenn man erkennt, dass Allāh gewisse Umstände erzeugt, die darauf hinweisen, dass man nicht mehr vollständig unter seiner Gunst steht, dann muss der Diener bedacht sein, daraus zu entnehmen, dass er durch Sünden und Fehler Allāhs Gunst verspielt hat.

So ist Allāh der Verdeckende (As-Sattār), der die Sünden immer und immer wieder verdeckt. Wenn du aber siehst, dass Allāh deine Sünden veröffentlicht, dann frage dich, was du getan hast, dass er dich damit entwürdigt.

2. Durch die Wirkung: Der Gläubige lässt das Schicksal auf sich wirken. Er erträgt die Strafen und die Prüfungen und er ist frohen Mutes, dass er eine Möglichkeit bekommt, seine Sünden wieder gut zu machen und sich in der Geduld zu üben. Er erträgt die Erschwernis und hofft auf Allāh und sucht bei Ihm Beistand und Hilfe, bis Allāh das Übel abwendet. So gelangt der Diener zu neuer Liebe und Gottesfurcht.

Allāh der Unabhängige (Al-Wāǧid) sagt im Qurʾān:
"Und wenn Wir die Menschen Barmherzigkeit kosten lassen, freuen sie sich darüber; doch wenn sie ein Übel um dessentwillen trifft, was ihre eigenen Hände vorausgeschickt haben, siehe, dann verzweifeln sie." (Sūrah ar-Rūm, Vers 36)

Der Mensch darf an der Prüfung nicht verzweifeln. Er hat sie geduldig zu ertragen und er muss sich fragen, was er denn mit seinen Händen vorausgeschickt hat, auf dass Allāh ihn damit bestraft. Er muss sich selbst zur Rechenschaft ziehen und die Sünden und Fehler, die er ausfindig macht, bereuen.

Im weiteren Verlauf der Sūrah sagt unser erhabene Herr:
"Unheil ist auf dem Festland und auf dem Meer sichtbar geworden um dessentwillen, was die Hände der Menschen gewirkt haben, auf dass Er sie die (Früchte) so mancher ihrer Handlungen kosten lasse, damit sie (zur Wahrheit) zurückkehren mögen."(Sūrah ar-Rūm, Vers 41)

Es ist an Versen dieser Art, die oft im Qurʾān vorkommen ersichtlich, dass der Mensch viel Übel, was er erleidet, selber verursacht. 

So sagt der Wahre (Al-Ḥaqq) im Qurʾān:
"Wenn Wir dem Menschen von Unserer Barmherzigkeit zu kosten geben, so freut er sich über sie. Doch wenn ein Unheil sie um dessentwillen trifft, was ihre Hände vorausgeschickt haben - siehe, dann ist der Mensch undankbar." (Sūrah aš-Šūrā, Vers 48)

Der Mensch ist dazu geneigt, die Fehler von sich zu weisen und sich nicht als das Problem anzusehen. So neigt der Törichte dazu, Allāh als den ungerechten Herrn dastehen zu lassen, der ein ungerechtes Übel zuließe. Doch ist dem nicht so und dies gehört es zu bedenken.

So sagte der ehrenwerte Gelehrte 
ʿAbdul-Qādir al-Ǧīlānī:

"Was den Menschen an zahlreichem Übel trifft, das trifft ihn meist wegen seiner Beschwerde über seinen Herrn. Wie kann er sich über seinen Herrn beschweren, der doch der Barmherzigste der Barmherzigen, der gerechteste Richter, der Allweise, Allkundige, der Weichmütige, der Gnädige und Gütige gegen seine Diener ist?" (Futūḥ al-Ġayb, Fī an-Nahī an aš-Šakwā)

Daher sollten wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir uns über unsere Situation bewusst werden und uns vom Lauf des Schicksals belehren lassen sollten.

"Und alles hat bei Ihm ein (rechtes) Maß" (Sūrah ar-Raʿd, Vers 8)

Sonntag, 16. Oktober 2016

Einige Worte zum menschlichen Paarungsverhalten

Ich wurde gefragt, inwiefern die Verschleierung bei Frauen ein Interesse hervorrufen kann und inwiefern sich die Verschleierung auf ihre Attraktivität auswirkt.

Die Fragestellung, inwiefern verschleierte Frauen anziehend wirken können und ob die Verschleierung sexuelle Anziehung hemmt oder nicht, ist differenziert zu betrachten.

Es gibt eine physiologische und eine psychologische Ebene.

Die physiologische Ebene beinhaltet die biologischen Paarungsmuster des Menschen. So dass man im Lichte der natürlichen Anziehung bei dem Partner auf bestimmte Sachen achtet, die paarungsbedingt das Interesse hervorrufen. Die physiologische Ebene ist bei jedem anders ausgeprägt. Wenn man eine physiologisch starke Ausprägung hat, wird man immer auf die äußerlichen Faktoren achten, die unterbewusst und rein biologisch die Hinweise darauf geben, welche Personen "fruchtbarer" oder angemessener sind für die Fortpflanzung. Dazu sei nur so viel gesagt.

Die psychologische Ebene ist etwas umfangreicher.

Es gibt die Ebene der Vorstellungen und die Ebene der Normen.

Die Vorstellungen sind Gewisse "Meinungen", an denen man festhält. Dazu gehören sozio-ethnische (kulturelle) Vorstellungen und individuelle Wünsche. So hat ein Mensch nur Gefallen an einem gewissen Kulturkreis oder er hat aufgrund seiner persönlichen Entwicklung an bestimmten anderen Aspekten Gefallen, die sich je nach Mensch unterscheiden.
(An der Ebene der Vorstellung hält man fest, weil man denkt, dass man daran festhalten müsste. Sie sind nicht notwendig, sondern eingetrichtert oder durch Umstände entstanden, wodurch man sich an diese gebunden hat. Diese Vorstellungen sind künstlich.)

Und dann gibt es die Normen. Diese sind die sogenannten "inneren Werte" oder der Charakter. Der Charakter bestimmt das Denken und die Persönlichkeitszüge des anderen. Welche Religion, welche Ideen, welche Ideologien, welchen Humor, welchen Wertmaßstab, welches Level des Intellekts eine Person besitzt usw.

Die Normen-Ebene ist das Gegenstück zur biologischen Ebene. Wenn man biologisch nach einem Partner sucht, ist man wie ein Tier. Wenn man die Ebene der Normen hinzuzieht, dann bringt man die Komponente der Menschlichkeit mit hinein, die Ebene der Vernunft und des Intellekts.

Je nachdem, wie sehr welche Ebenen ausgeprägt sind, werden sich die Prioritäten bei der Partnerwahl anpassen. 

Nun zu der Frage mit der Verschleierung:

Die Verschleierung gehört zu den Normen. Eine Norm, die die Funktion hat, dass Frauen ihre biologischen Reize verdecken, damit das tierische in einem Mann nicht in Verlegenheit gerät.

Wenn man nun Interesse an einer Frau hat, die sich der Norm gemäß bedeckt ohne dass man sie genauer kennt, dann nur deshalb, weil man mit der Norm eine gewisse (künstliche) Vorstellung verbindet. Zum Beispiel, dass ein Mann denkt, dass jede Frau mit einer gescheiten Bedeckung eine rechtschaffene Frau ist. Dies ist ein Trugschluss und an so einer Vorstellung müsste man logischerweise festhalten und sie künstlich aufrecht erhalten, damit sie wie ein Fakt wirkt.

Noch schlimmer ist es, wenn jemand eine bedeckte Frau sieht und das auch noch sexuell anziehend findet. Denn das bedeutet, dass man unter der normativ verdeckten Frau seine Vorstellungen von einer biologisch-anziehenden Frau erzeugt. Da man nicht weiß, wie diese Person physisch ausgeprägt ist, erzeugt man die Vorstellung von dem, was man sich wünscht. Man denkt sich seine Wünsche da rein. 

So sagte Saʿdī:
Wie mancher Wuchs scheint schön und schlank, vom Schleier wohl bedeckt:
Ein altes Mütterchen ist's nur, wenn man ihn aufgedeckt.

Daher können wir hier folgende Konflikte nennen:
1. Eine zu starke Ausprägung der biologischen Orientierung, so dass alles andere in den Hintergrund fällt und man nach tierischen Mustern nach einem Partner sucht.
2. Eine starke normative Ausprägung, welche durch Zugabe von eigenen Vorstellungen dazu führt, dass man normativ etwas erhofft, was nicht notwendig stimmen muss. So dass man hinter der Verschleierung oder hinter einem Bart die Vervollkommnung der Tugenden erhofft.
3. Eine Starke Ausprägung der biologischen Orientierung und die Irreführung durch die Vorstellungen, so dass das normativ Unbekannte/Verdeckte aufgrund der fehlenden Details so fantasiert wird, als ob es der biologischen Vorstellung dieser Person entsprechen würde.

Die Probleme kommen somit durch falsche Vorstellungen zustande. Die Zugabe von Vorstellungen "verschleiert" die Sicht und das Urteil. So macht man sich ein eigenes Maßstab und bildet sich eine eigene Realität.

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...