Montag, 22. Oktober 2018

Das Herz (al-Qalb) und die Einflüsterungen

Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung eines Vortrags zum Thema Das Herz (al-Qalb)  (Link zum Vortrag: https://youtu.be/kX8MO2i6Sv8 )

Einer der bekannten Überlieferer aus der Zeit der Tābiʾīn, Ḫālid ibn Maʿdān (gest. 103 n.H.) sagte:

“Allāh hat Behälter auf der Erde. Die liebsten Behälter sind die sanftesten und reinsten. Die Behälter Allāhs auf der Erde sind die Herzen der rechtschaffenen Diener.”

Diese Aussage, die in ähnlichen Wortlauten auch als Ḥadīṯ überliefert wurde, spricht über die Behälter Allāhs als ein Gleichnis für die Herzen. Die Herzen werden im Qurʾān als das zentrale Element des Begreifens mehrmals erwähnt.

Allāh sagt: „Hierin liegt wahrlich eine Ermahnung für den, der ein Herz (qalb) hat oder zuhört und bei der Sache ist.“ (Sūrah Qāf - Vers 37)

In diesem Artikel soll erklärt werden, wie das Herz / al-Qalb definiert wurde und welche Bedeutungen es im Leben des Gläubigen haben sollte.

Wir nehmen wieder zuerst die Definition von dem großen Sprachwissenschaftler Ibn Manẓūr (gest. 711 n.H.), dem Verfasser des Lisān al-ʿArab, eines der größten und bedeutsamsten Lexiken der arabischen Sprache. Er sagt, dass al-Qalb in dem Sinne verstanden wird, dass eine Sache umgeändert, umgewälzt oder umgedreht wird. Hierbei wird das einfache Beispiel eines Mannes gegeben, der mit dem Rücken zu einem steht und sich dann umdreht. Al-Qalb ist somit das, was sich dreht bzw. ständig wendet und ändert.
Die zweite sprachliche Definition entnehmen wir von dem hanbalitischen Universalgelehrten Abū al-Faraǧ ibn al-Ǧawzī (gest. 597 n.H.), der in seinem Werk Madāriǧ as-Sālikīn sagte, dass al-Qalb zuerst den physischen Fleischkörper in der Mitte der Brust bezeichnet und auf der tieferen Ebene eine sogenannte Laṭīfa. Die Laṭāʾif (Pl. von Laṭīfā) sind subtile und essentielle Ebenen der Seele. Diese Laṭīfa ist die Instanz, an die die göttliche Ansprache im Qurʾān gerichtet ist und daher auch die, welche am Ende zur Rechenschaft gezogen wird.

Das Herz wird im Qurʾān zahlreich erwähnt. Die folgenden Beispiele sollten einige Eindrücke geben:

"Und wisset, dass Allāh zwischen den Menschen und sein Herz tritt, und dass ihr vor Ihm versammelt werdet." (Sūrah al-Anfāl - Vers 24)

"Und gehorche nicht dem, dessen Herz Wir achtlos für die Erinnerung an Uns machten und der seinen Gelüsten folgt und maßlos ist." (Sūrah al-Kahf - Vers 28)

"Sodann verhärteten sich eure Herzen, so dass sie wie Steine wurden oder noch härter." (Sūrah al-Baqara - Vers 74)

In der Sunnah finden wir sogar einen Hadīṯ, der eine Definition durch den Propheten beinhaltet:

Der Prophet (ṣ) sagte: "Das Herz (al-Qalb) hat seinen Namen aufgrund seiner Wechselhaftigkeit (taqallub). Das Gleichnis des Herzens ist das einer Feder, die an der Wurzel eines Baumes hängt und die der Wind immer wieder herumdreht." (Überliefert bei Aḥmad)

Nun nehmen wir die zwei bisher verwendeten Autoren und schauen ihre Abhandlungen über dieses Thema an.

Abū al-Faraǧ ibn al-Ǧawzī sagt, dass das Herz das Zentrum des Willens und der Entscheidungen ist und alle Gliedmaßen daher den Anordnungen des Herzens folgen. Die Werkzeuge, die dem Herzen unterliegen, bezeichnet er bildlich als zwei Armeen. Die erste Armee ist die sichtbare und besteht aus den inneren und äußeren physischen Teilen des Körpers. Die zweite Armee ist die unsichtbare und besteht aus den Kräften und Trieben im Körper, die aus der natürlichen Anlage heraus dem Körper sagen, was es erlangen soll.

Dabei haben die Armeen drei Funktionen:
1. Irāda (Wille) → Das Gute wollen und das Schlechte verabscheuen
2. Qudra (Fähigkeit) →  Das Gute anstreben und das Schlechte meiden
3. Idrāk (Wahrnehmen) und ʿIlm (Wissen) →  Das Gute und Schlechte erkennen und einschätzen

Insgesamt hat der Körper laut Ibn al-Ǧawzī fünf physische und geistige Sinne:

Fünf physische Sinne: Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen
Fünf geistige Sinne: Vorstellen (taḥayyul), Merken (taḥaffuẓ), Nachdenken (tafakkur), Erinnern (taḏakkur), Nachempfinden (Ḥiss muštarak)

Aus der gesamten Gliederung geht auch der wesentliche Unterschied zwischen Tier und Mensch hervor. Dieser ist, dass der Mensch Wissen und Willen besitzt und somit die Taten des Menschen nicht nur einfachen Reiz-Reaktions-Mustern folgen, sondern durch die Wahl und Überlegung des Menschen geprägt werden.

Dann erwähnt Ibn al-Ǧawzī das Gleichnis eines Spiegels, um fünf verschiedene Hindernisse zu verdeutlichen, mit denen das Herz davon abgehalten wird, eine richtige Erkenntnis zu erlangen.

Das Herz ist wie ein Spiegel, es nimmt die Dinge symbolisch/formell/abstrakt auf und hält sie fest.
Die fünf Hindernisse, die den Spiegel → das Herz von der Wahrheit abhalten:

1. Unvollständigkeit des Spiegels oder der Oberfläche 
→  Geistige Beschränktheit / Unterentwicklung 
2. Verschmutzung der Oberfläche 
→  Verblendung des Herzens durch Wünsche und Verlangen 
3. Falsche Ausrichtung des Spiegels 
→  Beschäftigung des Herzens mit anderen Dingen 
4. Verschleierung zwischen Spiegel und Objekt 
→  Beschränktheit durch Voreingenommenheit/Fanatismus/Sturheit 
5. Unkenntnis über die Richtung des Objekts 
→  Unfähigkeit, die Wahrheit zu finden durch chaotische und unstrukturierte Vorgehensweisen

Zuletzt erwähnt er eine Reihe von Untugenden, die das Herz schwächen und somit dem Teufel ermöglichen, leichter Eintritt zu finden:

Neid (Ḥasad) – Verlangen (Ḥirṣ) – Wut (Ġaḍab) – Ausstattungszwang (Haus, Möbel, Deko usw.) – Essen bis zur Fülle – Erwartungen (Unterwürfigkeit) – Eile – Liebe zum Vermögen (Verbotene Wege, Geiz, Armutssorgen usw.) – Fanatismus/Parteilichkeit – Das kompliziert Machen der religiösen Angelegenheiten – Das schlechte Denken über seine Geschwister

Dem zweiten Gelehrte Abū Ṭālib al-Makkī (gest. 386 n.H.) entnehmen wir seine Darstellung der Gedanken, die das Herz befallen können. Er sagt, dass es insgesamt sechs Instanzen gibt, von denen ein Einfluss auf die Gedanken des Herzens entstehen können.

1. Die Einflüsterungen des Teufels (-) 
Diese sind immer negativ und sollen den Menschen zu schändlichen Dingen treiben.
2. Die Neigungen des Nafs (-) 
Diese sind die grundlegenden Triebe des Nafs und müssen kontrolliert und gezügelt werden. 
3. Die Gedanken des Verstandes (+/-) 
Diese helfen dabei Wissen/Überlegungen weiterzudenken und zu ordnen.
4. Die Motivation der Engel (+) 
Diese sind immer positiv und sollen den Menschen zu guten Dingen führen.
5. Die Neigungen der Seele (+) 
Diese sind die seelisch veranlagten Wünsche, Allāh zu dienen und Seine Zufriedenheit zu erlangen.
6. Die Einleuchtungen/Erkenntnisse, die von Allāh kommen, entsprechend der Gewissheit (Yaqīn) (++)
Das ist ein Punkt, bei dem sich die Gelehrten uneinig waren und zwar die Art des Einflusses, bei dem Allāh direkt das Herz entsprechend seiner Gewissheit mit Erkenntnissen erleuchtet.

Auch Al-Makkī bedient sich eines Gleichnisses. Er möchte die Gewissheit (al-Yaqīn) durch das Licht eines Feuers beschreiben, welches durch den Schlag auf einen Feuerstein erzeugt wird.

Īmān / Glaube →  Wie ein Feuerstein 
Ilm / Wissen → Wie der Schlag des Feuersteins, um einen Funken zu erzeugen 
Aql / Verstand →  Wie das Feuer, was durch diesen Funken erzeugt wurde 
Die Gewissheit ist wie das Licht, das von diesem Feuer ausgestrahlt wird

Der Glaube ist wie ein Feuerstein. Es hat das Potenzial, Funken zu erzeugen, benötigt jedoch das Wissen, womit man den Glauben reizt und somit den Funken erzeugt, der das Feuer des Verstandes erleuchtet. Dieses Feuer strahlt dann das Licht der Gewissheit aus.

Deswegen erwähnt Allāh auch im folgenden Vers das Wissen zuerst, weil erst mit dem Wissen der Glaube verwirklicht werden kann:

Es ist mit Allāhs Wissen offenbart worden; und es ist kein Gott außer Ihm.“ (Sūrah Hūd - Vers 14)

Dann erwähnt Al-Makkī noch drei Faktoren, die den Einfluss des Nafs stärken und drei Schleier, die die Wahrheit verschleiern:

Drei Faktoren, die den Nafs Stärken:
1. Unwissenheit 
Wenn man kein Wissen über Gut und Schlecht hat, kann man in alle Richtungen geneigt sein.
2. Verlangen/Gier
Wenn man voller Verlangen ist, kann man seine Taten nicht gut durchdenken und macht daher voreilige Schritte.
3. Liebe zur Dunyā
Diese lenkt davon ab, sich auf sein Jenseits zu konzentrieren.

Drei Schleier, die die Wahrheit verschleiern:
1. Die Mittel (Asbāb) →  Die Mittel sind die Instanzen, durch die Allāh die gewünschten Wirkungen und Kausalitäten zustande bringt. Der Schleier entsteht, wenn diese Mittel als die Quelle der Wirkungen angesehen werden, anstatt als Mittel, durch die Allāh die Wirkungen zustande bringt. 
2. Die Gelüste (Šahawāt) →  Die Gelüste machen das Auge blind und lassen den Menschen gänzlich auf die Befriedigungen der Momente konzentriert sein, ohne Konsequenzen und negative Folgen zu berücksichtigen.
3. Die Gewohnheiten (ʿĀdāt) →  Religiöse Rituale werden zu Gewohnheiten, wenn man sie nur noch als Routine ausübt. Sobald etwas zur Routine wird, wird sein essenzieller Daseinszweck verdrängt/vergessen.

Diese ganzen Gliederungen und Punkte haben diese beiden und auch viele weitere Gelehrte in ihren Werken skizziert, um Reize und Ansätze zu schaffen, die den Menschen dabei behilflich sein sollen, das Herz und seine Funktionsweise zu verstehen.

Freitag, 20. Juli 2018

Bin ich nur ein Muslim? Die Frage nach der Identität.

Schon in einigen früheren Beiträgen habe ich das Problem der Identitätssuche von Muslimen besprochen.  In diesem Beitrag möchte ich kurz ergänzen, zwischen welchen zwei Problemen bzw. Extremen sich diese Identitätssuche abspielt.

Grundsätzlich ist es für den Muslim ausreichend, dass er sich seiner Person als Muslim bewusst wird. Denn wenn ein Mensch sich als Muslim wahrnimmt und den Glauben mit Überzeugung annimmt, dann folgt darauf eigentlich auch die Anpassung seines Lebens entsprechend der normativen Vorgaben und Erwartungen, die uns von Allāh und seinem Gesandten erreicht haben.
Der Muslim hat durch das bloße Konzept des Islams genug Aufgaben und Verantwortungen, die ihn dabei unterstützen, eine funktionierende und vollständige Identität zu bilden. Es beginnt mit dem Einhalten der Gebote und Verbote und geht hin zu der Verfeinerung des Charakters und der intensiven Bemühung um die Besserung der Umwelt und der Mitmenschen.
Die Vorbilder und Ideale, die in den früheren und späteren Büchern festgehalten wurden, sind zahlreich und ausreichend, um genug Leitfäden zu besitzen, die man bei der Schulung seiner eigenen Persönlichkeit nutzen könnte.

Wäre da nicht dieser Kontrast...

Das Problem entsteht nämlich genau dann, wenn ein Muslim bemerkt, dass er mit seiner Ambition und Motivation hervorsticht und die breite Masse der Muslime anscheinend gar nicht so interessiert ist, die Religion mehr oder weniger authentisch und intensiv zu praktizieren. Genau das passiert sehr vielen jungen Muslimen, die durch Allāhs Gnade und Rechtleitung motiviert mit dem Praktizieren der Religion anfangen und beim Aufblühen die Unterstützung und Bestätigung von anderen ersuchen. Denn jeder, der dabei ist, eine Identität zu entwickeln, möchte bei jedem Schritt, rein pädagogisch gesehen, bestätigt werden, um bei diesem unsicheren Schritt bestätigt zu werden und dadurch Sicherheit zu empfinden.
Die Muslime als breite Masse wirkt für die meisten praktizierenden Muslime jedoch sehr schwammig und qualitativ dünn und diese Masse reicht daher irgendwie nicht, um diese Bestätigung von sich zu geben. Denn die gesamte Masse lässt nicht von sich spüren, dass die Motivation für die Religion etwas gutes sei. Dies führt dann dazu, dass diese jungen Muslime nun Gleichgesinnte suchen, die ebenfalls durch intensivere Bemühungen hervorstechen.

Und hier beginnt dann das erste Problem der Identitätssuche. Statt nur Muslim zu bleiben, entwickeln die Muslime kleinere elitäre Kreise, die sich von der allgemeinen Masse der Muslime abgrenzen möchten. Sie sehen sich zwar als Muslime, aber möchten schon irgendwo etwas anderes sein, weil sie ja angeblich authentischer und wahrhaftiger sind. Diese Abgrenzung kann bei vielen extremistischen Gruppen beobachtet werden. Sie benutzen oft andere Label für sich, denn nur Muslim zu sein ist leider nicht mehr ausreichend für viele.

Wenn man nur Muslim wäre, dann wäre man ja ein Teil dieser qualitativ schwachen Restmenge von Muslimen. Das geht nicht. Man möchte ja etwas besonderes sein. Schließlich ist der Islam die Wahrheit und das muss sich auch daher besonders anfühlen.

Exklusivierung bzw. die Entstehung von elitären Randgruppen ist eine Folge der qualitativen Schwäche der allgemeinen Menge der Muslime. Wenn die Muslime also Kritik ausüben möchten, dass sich junge Leute abgezweigt haben, dann muss ihre Kritik auch beinhalten, dass die allgemeine Menge der Muslime klar und deutlich versagt hat. 

Diese qualitative Wässrigkeit der Muslime führt dazu, dass die Muslime, die ihre Religion ernst nehmen möchten, in ihrem Aufenthalt in dieser dünnflüssigen Menge nicht die richtige und notwendige Festigkeit verspüren und daher abgrenzende Haltungen einnehmen. Auf der anderen Seite werden die neueren Generationen so schwach mit der Religion vertraut gemacht, dass die meisten gar nicht erst versuchen, eine Identität auf diesem schwachen Fundament aufzubauen und stattdessen außerhalb des Islams nach einer Fülle ihrer Identität suchen. Und dies können wir genau beobachten, wenn wir sehen, dass Jugendliche aus muslimischen Familien mehrheitlich zu Idolen aus der Musik (insbesondere aus der Gangster-Rap-Szene), aus dem Sport oder aus anderen Bereichen greifen. Oder sie kommen in den Zustand der angeblichen Perspektivlosigkeit und neigen zu Drogenkonsum und anderem maßlosen Konsumverhalten.

Es ist somit egal, ob wir irgendwelche super-authentischen Muslime haben, die den Rest der Muslime als Irregegangene/Erneuerer betrachten oder irgendwelche "Kanacken" mit zerrissenen Hosen und neuartigen Trendfrisuren, die sich irgendwelche Gangster-Rapper reinziehen und die Nächte in den Shishabars oder Wettbüros verbringen. Beide Ausprägungen sind Ergebnisse von gescheiterter Identitätsbildung. Und an diesen Ergebnissen sind alle Muslime schuld. Als Gesamtheit tragen wir die Schuld dafür, dass wir nicht ausreichend dafür machen, um das Identitätsgefühl, welches ein Muslim als solcher empfinden sollte, zu stärken.

Die Individuen machen die Gesamtheit aus. Jeder muss seinen Beitrag leisten, um die Gesamtqualität der Muslime als Menge zu steigern. Jeder muss etwas dafür leisten. Und der Anfang liegt darin, dass wir aufhören so egoistisch zu sein und die Bereitschaft entwickeln, unsere eigene Kraft und Zeit für den Islam aufzuopfern.

Sonntag, 17. Juni 2018

Ramaḍān - sollte Augen öffnen

"Der Monat Ramaḍān ist es, in dem der Qurʾān als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist und als Verdeutlichung (des Stellenwertes) der Rechleitung und der Unterscheidung [bzw. differenzierten Wahrnehmung]." (Sūrah al-Baqarah - Vers 185)

Der heilige Monat Ramaḍān ist vorbei. Einen ganzen Monat haben wir mit der Erlaubnis und Unterstützung Allāhs gefastet und versucht, unsere weltlichen Gelüste und Neigungen zu zügeln. Jetzt heißt es sich selbst zur Rechenschaft zu ziehen:

Was hatte ich mir vorgenommen und was davon habe ich erreicht? Warum habe ich mir gedacht, dass ich so viel schaffen würde und was war es, was mich vom Erreichen und Einhalten meiner Pläne abhielt? Habe ich irgendwann nur noch Routine-Abläufe gehabt? War es nur noch ein Routine-Fasten oder Routine-Beten? Welche gottesdienstlichen Taten möchte ich, wenn auch in kompakterer Form, nach diesem Monat als Gewohnheit mitnehmen? Worin möchte ich mich steigern und was möchte ich bis zum nächsten Ramaḍān besser machen?

Das sind alles Fragen, die sich der Muslim stellen muss. Denn einer der wichtigen Funktionen von Ramaḍān ist es, Bewusstsein zu schaffen. Im Ramaḍān erleben wir uns selbst, und zwar in Form unserer Triebe, Wünsche und Gewohnheiten. Wir erleben uns deshalb, weil wir uns nun aktiv stoppen müssen, viele Dinge zu tun. Wir lernen somit die Kontrolle über unseren Antrieb, das aktive Unterbinden und somit eine reflektive Position zu uns selber einzunehmen. Wir gehen aus uns heraus und betrachten uns wie ein Kind, das es zu erziehen gilt. Diese analytische und reflektive Betrachtung soll in uns Bewusstsein erzeugen. 

Wenn wir in diesem Monat aber nur darauf bedacht waren, so und so viele Gebetseinheiten zu beten und so viele Seiten des Qurʾān zu rezitieren, dann werden wir dies womöglich mit Allāhs Huld mehr oder weniger auch geschafft haben. Warum? Weil Quantitäten die teuflischen Energien ins uns und außer uns nicht sonderlich stören. Sie sind eine minimale Aufopferung unserer Gemütlichkeit und Zeit. Es ist keine Frage, dass die Anzahl von Gottesdiensten sicherlich ihren Wert bei unserem Herrn hat. Jedoch sind und waren es noch nie die Quantitäten, die die Welt verändert haben. Es war immer die qualitative Leistung; sei sie auch nur wenig an Anzahl. 

Wenn man die Wertstellung dieses heiligen Monats bei den Gefährten und früheren Gelehrten nachliest und untersucht, erkennt man leicht, dass sie diesen Monat als eine Zeit des Wandels und Aufstiegs verstanden haben. Es war ein Sprungbrett zu einem höheren und bewussteren Ich. Eine Schule für den Geist.
So freuten sie sich Monate zuvor auf diesen Monat und bereiteten sich vor. Wenn der Monat vorbei war, reflektierten sie und zogen Lehren für die Monate danach. Denn sie verstanden einen wesentlichen Aspekt des Glaubens:

Das Streben nach der Zufriedenheit Allāhs ist ein endloser Aufstieg.

Die Unendlichkeit spielt eine wichtige Rolle. Denn was viele außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass Allāh der Erhabene ist. Erhabenheit in allem. Er überragt und transzendiert alles. Deswegen erinnern wir uns daran, indem wir jeden Tag im Gebet "Allāhu ʾakbar" sagen. Dies ist eine relative Formulierung, denn man sagt "Allāh ist größer." Größer, weil es keinen festgelegten/fassbaren Maß hat. Allāhs Erhabenheit erstreckt sich in die Unendlichkeit. Das Streben nach Allāh und nach Seiner Zufriedenheit ist somit unermesslich und hat immer Luft nach oben. Das klingt von der Formulierung her vielleicht etwas abschreckend, weil man sich denkt, dass es wie ein unerreichbares Ziel klingt. Aber so ist es nicht. Denn jede Nähe und jeder Schritt zu Seiner Näher ist ein Geschmack und ein Erfolg für sich. Aus diesem Grund hört der Muslim auch nicht auf zu streben, weil er weiß, wie der Aufstieg zu Allāh schmeckt. Der Muslim stagniert nicht, weil er den Geschmack des Aufstiegst vermisst.

Im Paradies wird der Aufstieg zu Allāh nicht aufhören. Jeden Tag werden die Bewohner der Glückseligkeit aufsteigen und jeden Tag den Geschmack der höheren Nähe schmecken. Dies macht das Paradies umso attraktiver, weil es einen unendlichen Aufstieg geben wird. Wenn man nämlich nüchtern und ganz menschlich denkt, könnte man ja denken, dass das Paradies irgendwann langweilig werden könnte mit all seinen Bächen und Früchten. Der fleißige Muslim war es im Leben ja schließlich gewohnt, Genuss als Abwechslung zu nutzen. Wo bleibt da der Reiz nach tausenden von Jahren, wenn alles immer gleich bleibt und man den ganzen Tag nur rumhängt? 
Und genau hier beantwortet das oben Erwähnte diese Frage. Die Unendlichkeit ermöglicht, dass alles jeden Tag schöner wird und das Gestrige in den Schatten gestellt wird. Der "Konsum" im Paradies wird somit jeden Tag übertrumpft. Aber das sollte den Kenner der göttlichen Nähe nicht großartig reizen. Was ihn nämlich reizt ist die Freude und Aufregung, die der darin empfindet, dass er weiß, dass im Paradies die Nähe zu Allāh jeden Tag zunehmen wird.

Hierin liegt die Botschaft von Ramaḍān. Habe ich heilsam gewirkt für mich und meine Umgebung, so dass ich Allāhs Gnade empfinden konnte? Habe ich mich selbst überwunden und üble Eigenschaften zu Tugenden umgewandelt, so dass ich einige Schleier beseitigen konnte, die mein Nafs zwischen mir und Allāh gebildet hat? Habe ich etwas zur Verbesserung der Menschheit beigetragen, so dass Ordnung durch mich entstand? 

Denn die Ordnung ist göttlicher Wille. Chaos und Spaltung ist des Teufels Werk.

Ordnet man, vereint man, hebt man Barrieren und Hindernisse auf, so dass Frieden und Einklang einkehren können, dann hat man den Tawḥīd auf menschlicher Ebene verwirklicht. Denn Tawḥīd bedeutet nicht nur, dass wir Allāh als einzig anbetungswürdigen Herrn ansehen und Ihm demgemäß dienen, sondern es bedeutet auch, dass wir die Gläubigen vereinen uns nicht spalten.

Stellt man somit Ordnung in der Gesellschaft, in der Familie und auch in unserem Inneren her, kommt man der göttlichen Einheit näher und erlebt die Gnade und Nähe Allāhs.
Das sollte der Ramaḍān uns lehren; und darüber sollten wir nun nachdenken, auf dass der Segen dieses Monats nachträglich auf uns wirkt und uns hilft, Ordnung, Besserung und Aufstiege in unserem Leben zu ermöglichen.

Denn Gottesdienste sind lediglich Formen und Zahlen, wenn sie nicht mit einem Bewusstsein einhergehen. Und bei Allāh hat davon alles keinen Stellenwert, wenn man diese nicht mit einem reinen und heilsamen Herz ausführt.

"An dem Tage, da weder Besitz noch Söhne (etwas) nützen, sondern nur der (etwas erreicht), der mit reinem Herzen zu Allāh kommt." (Sūrah aš-Šuʿarāʾ - Verse 88-89)

So lasst uns keine Routine-Roboter sein, die die Gottesdienste lediglich nach der Form ausführen, sondern lasst uns bewusste Diener sein.

"Seid Gotteskenner (Rabbāniyyīn) mit dem, was ihr gelehrt habt und mit dem, was ihr studiert habt." (Sūrah Ālī ʿImrān - Vers 79)

Lasst uns achtsam und anwesend sein vor Allāhs Erhabenheit.

"Hierin liegt wahrlich eine Ermahnung für den, der ein (reines) Herz hat oder genau hinhört während er anwesend/achtsam ist." (Sūrah Qāf - Vers 37)

Und bei Allāh liegt der Erfolg.

Donnerstag, 3. Mai 2018

Das Gedenken Allāhs und seine Vorzüge

Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung eines Vortrags zum Thema Gedenken Allāhs
(Link zum Vortrag: https://youtu.be/7x3C6Amh6MY )

Allāh, der Herr der Welten, der Schöpfer aller Dinge, lädt uns in seinem Buch dazu ein, dass Er unserer gedenke:

So gedenkt also Meiner, damit Ich euer gedenke; und seid Mir dankbar und verleugnet Mich nicht.“ (Sūrah al-Baqara - Vers 152)

Wir können diesem Aufruf folgen und uns dessen bewusst sein, dass jedes Mal, wenn wir Allāh gedenken, Er auch uns gedenkt und bei sich und den Engeln erwähnt.

In diesem Artikel soll daher besprochen werden, was das Gedenken ist und wie wir es richtig umsetzen können. Zuerst schauen wir uns die sprachliche Definition an, wie sie der Sprachwissenschaftler Ibn Manẓūr (gest. 711 n.H.) in seinem Werk Lisān al-ʿArab aufgeführt hat. Das Gedenken, arabisch aḏ-Ḏikr, bedeutet erstens das Hüten/Bewahren einer Sache, zweitens das, was auf der Zunge läuft/erwähnt wird und drittens das Wiederholen einer Sache

Abū Bakr Al-Wāsiṯī (gest. 320 n.H.) definiert aḏ-Ḏikr folgendermaßen: “Es ist das Heraustreten aus dem Zustand der Unachtsamkeit in den Zustand der Murāqaba (von Allāhs Anwesenheit) aufgrund der Erdrückung durch die Gottesfurcht und der Intensität der Liebe zu Ihm.” [Ar-Risāla al-Qušayriyya]

Al-Murāqaba ist die Beobachtung, womit das Bewusstsein gemeint wird, mit der wir Allāhs Anwesenheit in unser Gedächtnis bzw. in unser Herz rufen.

Hiernach schauen wir uns einige Verse im Qurʾān an, in denen die Wirkung und die Anwendung des Gedenkens erwähnt werden:

Und das Gedenken Allāhs ist fürwahr das Größte.“ (Sūrah al-ʿAnkabūt – Vers 45) 

Und diejenigen, die - wenn sie etwas Schändliches getan oder gegen sich gesündigt haben - Allāhs gedenken und für ihre Sünden um Vergebung flehen…“ (Āli ʿImrān – Vers 135) 

Und wenn ihr das Gebet verrichtet habt, dann gedenket Allāhs im Stehen, Sitzen und im Liegen.“ (Sūrah an-Nisāʾ - Vers 103) 

Wahrlich die Gläubigen sind diejenigen, deren Herzen erbeben, wenn Allāh genannt wird, und die in ihrem Glauben gestärkt sind, wenn ihnen Seine Verse verlesen werden, und die auf ihren Herrn vertrauen." (Sūrah al-Anʿām - Vers 2) 

Es sind jene, die glauben und deren Herzen Trost finden im Gedenken an Allāh. Wahrlich, im Gedenken Allāhs werden die Herzen ruhig.“ (Sūrah Ar-Raʿd - Vers 28) 

Und gedenke deines Herrn in deinem Nafs in Demut und Furcht, mit leisen Worten - des Morgens und des Abends; und sei nicht von den Unachtsamen.“ (Sūrah al-Aʿrāf - Vers 205)

Aus diesen Versen werden einige Punkte deutlich:

• Die besondere Bedeutung und der hohe Stellenwert des Gedenkens ist klar zu erkennen.
• Das Gedenken folgt auf die Sünde oder auf die Versuchung zur Sünde und hilft dabei, das Herz schleunigst zu Allāh zurück zu wenden.
• Das Gedenken erfüllt das Herz mit Ehrfurcht, lässt es erbeben, demütig werden und lässt den Glauben steigen. Dies alles wirkt auf das Bewusstsein des Gläubigen beruhigend/beschwichtigend, so dass die Herzen insgesamt die Ruhe erlangen.
• Das Gedenken kann zur jeder Tageszeit und in jedem Zustand ausgeübt werden.

Den Stellenwert des Gedenkens in der Sunnah des Propheten entnehmen wir dem Kapitel über die Vorzüglichkeit des Gedenkens aus dem Werk Mukāšafatu l-Qulūb von Imām al-Ġazālī (gest. 505 n.H.), der eine Reihe von Überlieferungen erwähnt, aus denen folgende Vorzüge des Gedenkens zu entnehmen sind:

• Der Gedenkende ist im Verhältnis zum Unachtsamen wie ein Lebender im Verhältnis zu einem Toten, oder wie ein mutiger Kämpfer im Verhältnis zu denen, die vom Schlachtfeld fliehen.
• Das Gedenken verringert die Sünden, weil es den Diener ständig mit Allāh in Verbindung bringt, so dass das Herz weniger von den Versuchungen heimgesucht werden kann.
• Das Gedenken ist der vorzüglichste Gottesdienst.
• Der Gedenkende hat bei Allāh eine hohe Stellung.

Diese deutlich zu erkennende Vorzüglichkeit betonen auch die Gelehrten:

Al-Ḥasan al-Baṣrī (gest. 110 n.H.) sagte: „Es gibt zwei Formen von Ḏikr. Der Ḏikr, der abseits anderer in der Einsamkeit mit Allāh geschieht und der Ḏikr, der bei der Annäherung einer Sünde dazu führt, dass man sich davor fernhält. Dieser ist vorzüglicher." [Mukāšafatu l-Qulūb]

Muʿāḏ ibn Ǧabal (gest. 18 n.H.) sagte: „Die Menschen werden (am Jüngsten Tag) am meisten die Zeiten bereuen, in denen sie nicht Allāh gedacht haben.“ [Mukāšafatu l-Qulūb]

Sahl ibn ʿAbdullāh at-Tustarī (gest. 283 n.H.) sagte: “Ich kenne keine abscheulichere Sünde als das Vergessen Allāhs.” [Ar-Risāla al-Qušayriyya
(Hier ist zu erwähnen, dass das Vergessen Allāhs nicht direkt eine Sünde ist, sondern die Tür zu jeder Sünde. Denn alle Sünden beginnen damit, dass man Allāh vergisst/verdrängt)

Das zuvor erwähnte Konzept der Murāqaba, womit der Diener die Anwesenheit von Allāh begreifen soll, thematisiert der in dem vorherigen Artikel besprochene Gelehrte Abu Ṭālib al-Makkī (gest. 386 n.H.) in seinem Werk Qūt al-Qulūb und unterteil sie in sieben Stufen, die insgesamt einen Bewusstseins- bzw. Achtsamkeitswandel darstellen.

Die erste Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…die Taten der inneren Natur ein Resultat im Jenseits hervorrufen werden. 
…der Mensch nur über das befragt werden kann, worauf er sich eingelassen hat. 
…der Mensch nur für seine eigenen Taten zur Rechenschaft gezogen wird. 
…der Mensch nicht die Strafe/den Lohn einer anderen Person bekommen wird.

Die zweite Stufe

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…jede einzelne Tat einen Gegenwert im Jenseits erzeugen wird. 
…jede Verpflichtung vor Allāh ohne Einwände und mit Hingabe zu erfüllen ist.

Die dritte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…keine Größe und Menge an Gottesdiensten ausreichend ist. 
…keine gute Tat die Erheblichkeit des Jüngsten Tages mildern kann. 
…nur die göttliche Gnade vor dem Schrecken des Jüngsten Tages helfen kann. 
…die göttliche Gnade nur durch Bemühungen erlangt werden kann.

Die vierte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…jeder Atemzug/Moment des Lebens aufgedeckt und hinterfragt wird. 
…die drei Fragen Warum? | Wie? | Für wen? gestellt werden.

Die fünfte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…Reue im Augenblick des Todes nichts bringen wird. 
…die Ablenkungen des Diesseits zur Reue führen werden. 
…die potenziellen Verluste nur mit dem Begriff des Todes klar werden.

Die sechste Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…alles Gute durch den Glauben zustande kommt und alle guten Taten durch die Gewissheit angetrieben werden. 
…alles an Spiel und Unterhaltung durch Mangel an Gewissheit beflügelt wird.

Die siebte Stufe 

Bewusstsein über die Tatsache, dass… 
…die Achtsamkeit nicht durch leere Hoffnung zustande kommt, sondern ganzheitliche Hingabe bedarf. 
(Feste Gottesdienste, ständige Bewusstseinsübungen, aktiver Verzicht auf unnötige Dinge, Kontrolle der Blicke, der Zunge, der Gedanken usw., Verzicht auf Übermaß und Übung des Verzichtes auf Gemütlichkeit uvm.)
…das Wertschätzen der Zeit und der Augenblicke darin liegt, dass man Augenblicke auch im Moment ihrer Erscheinung produktiv nutzt.

Diese sieben Stufen verdeutlichen einen Wandel des Bewusstseins und der Achtsamkeit gegenüber Allāh und der Verantwortung auf dieser Welt. Zusammengefasst kann man sagen, dass man sich zuerst über die innere Dimension des Menschen bewusst wird, dann das Gewicht der einzelnen Taten begreift, dann über den Jüngsten Tag reflektiert und sich darüber im Klaren wird, dass man nur mit Allāhs Gnade und nicht mit der Quantität der Taten etwas erreichen werden kann. Dann wird man über die einzelnen Momente und die Rechenschaft über diese bewusst, bis man wieder in die Gegenwart zurückkommt und sich selbst schon im Jetzt zur Rechenschaft zieht, ob man denn seine Zeit gut nutzt.

Diese Reise soll den Diener dazu anregen, von der Konsequenz seines Tuns, bis hin zur Vorstellung des Jüngsten Tages zu sich selbst zurück zu kehren und Motivation zu erlangen, um in der Gegenwart das Beste aus seiner Zeit raus zu holen.

Dafür sollte jeder seine Kapazität untersuchen und seine Zeit mit den konkreten Ausführungen des Gedenkens und der Gottesdienste füllen.

…die Allāhs gedenken im Stehen und im Sitzen und (liegend) auf ihren Seiten und über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachdenken (und sagen): ‚Unser Herr, Du hast dieses nicht umsonst erschaffen. Gepriesen seist Du, darum behüte uns vor der Strafe des Feuers.‘“ (Sūrah Āli ʿImrān - Vers 191)

Es gibt somit folgende Formen des Gedenkens:

Gedenken mit den Gliedmaßen  Gebet 
Gedenken mit der Zunge  Preisungen, Lob, Bittgebet 
Gedenken mit dem Verstand  Nachdenken, Besinnen 
Gedenken mit dem Herzen  Betrachtung, Bewunderung

Jeder sollte seinen Tag mit regelmäßigen und zahlreichen Formen des Gedenkens ausfüllen und schmücken, so dass es nicht dazu kommt, Allāh zu vergessen oder zu verdrängen.

Möge Allāh uns von den Gedenkenden und Aufmerksamen machen. Āmīn

Freitag, 30. März 2018

Einführung in die Lehre über den Nafs

Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung einer Einführung zu einer Vortragsreihe über das Thema Nafs.
(Link zum Vortrag: https://youtu.be/aT3-6d_6hF )

Der große Asket Yaḥyā ibn Muʿāḏ (gest. 258 n.H.) sagte etwas, was oft fälschlicherweise dem Propheten zugeschrieben wird, und zwar: "Wer sein Nafs erkannt hat, der hat seinen Herrn erkannt."
Was ist also dieser Nafs? Und warum führt die Erkenntnis seiner zu der Erkenntnis unseres Herrn?

Zuallererst muss geklärt werden, was der Nafs überhaupt ist und was er bedeutet. Dafür nehmen wir zuerst zwei sprachliche Definitionen. Die erste stammt von dem großen Sprachwissenschaftler Ibn Manẓūr (gest. 711 n.H.), der Verfasser des Lisān al-ʿArab, eines der größten und bedeutsamsten Lexiken der arabischen Sprache. Er sagt, dass Nafs zwei Bedeutungen hat. Es ist erstens die Seele und zweitens die Essenz oder Gesamtheit einer Sache. Eine weitere sprachliche Definition entnehmen wir von dem hanbalitischen Universalgelehrten Abū al-Faraǧ ibn al-Ǧawzī (gest. 597 n.H.), der in seinem Werk Madāriǧ as-Sālikīn sagte, dass Nafs erstens die Gesamtheit der Emotionen und Triebe bedeuten kann oder das Bewusstsein des Menschen über sich selbst.

Danach folgt die Darstellung des Nafs im Qurʾān. Allāh, Erhaben ist Er, beschreibt den Nafs in mehreren Eigenschaften:

1. „Wahrlich, der Nafs befiehlt ständig das Schlechte.“ (Sūrah Yūsuf - Vers 53)
An-Nafs al-Ammāra = der Nafs, der ständig befiehlt

2. „Aber nein, ich schwöre bei dem sich selbst tadelnden Nafs.“ (Sūrah al-Qiyāma - Vers 2)
→  An-Nafs al-Lawwāma = der Nafs, der tadelt

3. „O du beruhigter Nafs, kehre zurück zu deinem Herrn – (während du) zufrieden bist und man mit dir zufrieden ist.“ (Sūrah al-Faǧr - Verse 27-28)
An-Nafs al-Muṭmaʾinna = der beruhigte Nafs
An-Nafs ar-Rāḍiya = der zufriedene Nafs
An-Nafs al-Marḍiyya = der Nafs, mit dem man zufrieden ist

Es ist also aus dem Qurʾān zu entnehmen, dass der Nafs Stufen hat und quasi qualitativ aufsteigen kann, von einer schlechten Art und Weise zu einer geläuterten und gereinigten Art. Es ist aber auch zu erkennen, dass der Nafs nichts anderes ist, als der Mensch in seinem inneren Wesen und seinem Selbstbewusstsein.

Hiernach nehmen wir die Strukturierung des shafiitischen Gelehrten Abu Ṭālib al-Makkī (gest. 386 n.H.), welcher ein Gesamtwerk über das Herz schrieb und sehr feine Aufteilungen und Strukturen aufstellte, um das Thema zu systematisieren.

Zuerst sagt er, dass der Nafs vier Wesenseigenschaften besitze:

1. Schwäche (aḍ-Ḍaʿf)
Und der Mensch wurde schwach erschaffen.“ (Sūrah an-Nisāʾ - Vers 28)
Der Mensch ist sehr schwach und bedürftig. Er benötigt Essen, Trinken, Schlaf, Versorgung, Medizin, emotionale Fürsorge uvm. Er kann schwer alleine durch die Welt ziehen und bedarf der Gemeinschaft und der Unterstützung.

2. Geiz (al-Buḫl)
Unter euch sind solche, die geizen. Wer geizt, der geizt nur seinem Nafs gegenüber.“ (Sūrah Muḥammad - Vers 38)
Der Mensch ist ständig besorgt um seine Existenz und möchte Vorkehrungen schaffen und Geld und Vermögen ansparen und ist daher oft seinem Besitz gegenüber anfällig, weil es sein Überleben suggeriert.

3. Gelüst (aš-Šahwa)
Verziert wurde dem Menschen die Liebe an der Lust nach Frauen und Kindern und gehäuften Mengen von Gold und Silber und Zuchtpferden und Vieh und Saatfeldern; doch bei Allāh ist die schönste Heimkehr.“ (Sūrah Āli ʿImrān - Vers 14)
Der Mensch begehrt die weltlichen Dinge. Aš-Šahwa wird oft für die sexuellen Gelüste verwendet, geht aber darüber hinaus. Es geht darum, dass der Mensch gierig und lüstern nach Dingen trachtet. Damit ist gemeint, dass er (wie bei den sexuellen Gelüsten) überrumpelt wird von einem Antrieb, Dinge zu tun und das kann auf das Begehren nach allen möglichen Dingen übertragen werden.

4. Ignoranz (al-Ǧahl)
Er (der Mensch) ist sehr ungerecht und ignorant.“ (Sūrah al-Aḥzāb - Vers 72)
Der Mensch weiß sehr wenig und egal wie viel Mühe er sich macht, wird er nur einige Schwerpunkte setzen können und in diesen Bereichen niemals die Perfektion erlangen. Egal wie viel der Mensch lernt, wird es verglichen zu dem, was er nicht weiß, so wie ein Staubkorn neben dem ganzen Universum sein.

Aus diesen vier Wesenseigenschaften sagt der Gelehrte im Resultat, dass sich diese in zwei Wesenszüge zusammenfassen lassen können: 
1. Unausgeglichenheit / Maßlosigkeit
2. Drang, eigene Wünsche oder Neigungen zu erfüllen

Anschließend beschreibt er, ähnlich wie Imām al-Ġazālī (gest. 505 n.H.), der auch deutlich von al-Makkī inspiriert wurde, dass der Mensch vier Naturen besitze:

1. Herrschaftsnatur
Darunter fallen Eigenschaften wie Hochmut (Kibr), Eitelkeit (ʿUǧb), Freude an der Macht und dem Respekt der Leute usw.

2. Teuflische Natur
Darunter fallen Eigenschaften wie die Hinterlistigkeit, Betrug, Neid (Ḥasad), Unehrlicheit usw.

3. Tierische Natur
Darunter fallen Handlungen wie das Essen, Trinken und die Fortplanzung

4. Natur des Dieners
Darunter fallen die Eigenschaften wie Gottesfurcht (Taqwā), Bescheidenheit (Tawāduʿ), Demut (Ḫušūʿ) usw.

Zu erkennen ist hierbei, dass die ersten drei Naturen für das Diesseits funktionieren. Sie sind Funktionen des Erhaltes der Menschheit. Die Herrschaftsnatur wird benötigt, weil es immer jemanden geben muss, der die Menschen leitet oder über sie herrscht. Die teuflische Natur ist der kreative Teil des Menschen, der Pläne schmieden kann, Fortschritte und wirtschaftliche Entwicklungen planen kann. Die tierische Natur kümmert sich um den biologischen Erhalt des Menschen. Nur die Natur des Dieners ist dafür da, dem Menschen nach seinem Tod im Jenseits ein schönes Dasein zu ermöglichen.

Es ist also anzunehmen, dass man die Funktionalitäten dieser Naturen für das Leben benutzen kann, aber diese nicht zu einem Schwerpunkt machen sollte. Anhand der Eigenschaften, die darunter erwähnt wurden, sieht man, dass die Naturen selbst, wenn sie maßlos ausgelebt werden, viele schlechte Dinge beinhalten. Nur als Werkzeuge zum Erhalt der Gesellschaften sind sie nützlich einzusetzen. Darüber hinaus haben sie nur Schaden an sich. Deswegen sollte der Mensch sich darum kümmern, die Stabilität, den Frieden und eine gute Umgebung zu erlangen, nur um sich auf die vierte Natur zu konzentrieren und für das Jenseits vorzusorgen.

Hier liegt die Antwort, die wir suchen. Wenn der Mensch sein Nafs erkennt und begreift, wie bedürftig, abhängig, schwach und maßlos es sein kann, wird er begreifen, dass er auf dieser Erde niemals ewig bestehen kann und dass er irgendwann hierher kam und wieder vergehen wird. Diese Realität wird ihm bewusst machen, dass er keine Macht oder Kraft hat, und das all dies in der Hand eines Schöpfers liegen muss, der die Quelle alles Seienden ist. Diesen Eindruck muss der Diener nun verdeutlichen. Dafür muss er sein Nafs läutern und kann dadurch die Nähe Allāhs erlangen und somit in der Erkenntnis Seiner zunehmen.

Um den Nafs zu läutern haben viele Gelehrte Werke und Methoden dargelegt, mit denen man systematisch arbeiten kann. Einer dieser Gelehrten war der zuvor erwähnte Abū al-Faraǧ ibn al-Ǧawzī, der in seinem Werk Madāriǧ as-Sālikīn eine sechsstufige Anleitung verfasste, die man als eine Orientierung nutzen kann. Diese Methoden sind pädagogische Mittel, die nicht verbindlich sind und auch nicht als solche verstanden werden sollen. Daher variieren die Methoden auch sehr und sind nur als Inspiration und Reiz anzusehen.

Erster Schritt: Vereinbarung und Verhandlung mit dem Nafs

Der Diener muss seinem Nafs bewusst machen, dass er nicht nur nach den weltlichen Gelüsten und Freuden streben darf. Der Nafs kennt nämlich keine Moral. Er weiß nicht, was gut und schlecht ist, sondern möchte einfach nur bestehen und das für ihn Erfreuliche erlangen. Daher wirkt er auch sehr unmittelbar. Das Jenseits ist aber ein langfristiges Ziel und bedarf daher einen langen Atem. Dies muss man seinem Nafs einreden, indem man es immer wieder daran erinnert, dass man gemeinsam daran arbeiten muss, für das Jenseits vorzusorgen. Um die Nuancen des Nafs zu begreifen, muss man sich selbst untersuchen. Die eigenen Schwächen, Bedürfnisse und Neigungen begreifen und dann entsprechend dieser Selbsterkenntnis dann mit sich umgehen.

Zweiter Schritt: Kontrolle und Überwachung des Nafs (al-Murāqaba)

Al-Murāqaba ist in der Sunnah des Propheten eigentlich das Bewustssein darüber, dass Allāh über einen wacht. Jedoch geht man hierbei einen Schritt weiter, und wacht selber über sein Nafs. So macht man sein Nafs darüber bewusst, dass Allāh über ihn wacht, damit man stets das Gefühl von Überwachung hat und sich dadurch vom Schlechten abhalten kann.


Dritter Schritt: Den Nafs zur Rechenschaft ziehen (al-Muḥāsaba)

Der Diener muss seine Taten reflektieren. Er sollte seine Fehler und Mängel erkennen und sich darüber im Klaren sein. Dadurch, dass er seine Taten untersucht und seine Fehler begreift, kann er für die Zukunft Lehren ziehen. Er kann schauen, was die Ursachen für ein Fehlverhalten waren, aus welchen Umständen sie entstanden sind und welche Rahmenbedingungen dieses Fehlverhalten begünstigt haben. Wenn er diese Faktoren erkannt hat, kann er sich für die Zukunft merken, dass er schon bei dem Erscheinen dieser Faktoren besonders aufmerksam sein sollte, weil er zuvor aus diesen Faktoren heraus etwas Falsches getan hat. Diese präventive Haltung nennt man al-Waraʿ.

Vierter Schritt: Konsequenzen ziehen

Wenn der Diener in Fehler oder Sünden gefallen ist, muss er seinem Nafs deutlich machen, dass er etwas Falsches getan hat. Dafür kann man "erlaubte Strafen" anwenden. Das heißt, man sollte dem Nafs gewisse Genüsse enthalten und/oder Dinge auferlegen, die ihm schwer fallen. Man könnte zum Beispiel auf eine Mahlzeit verzichten, auf die man sich sehr gefreut hätte und gleichzeitig kann man sich vornehmen, am nächsten Tag zu fasten oder gewisse Aufgaben erfüllen, die dem Nafs besonders schwer fallen.
Dadurch, dass man den Nafs in eine Enge treibt, nachdem er den Diener in Fehler geführt hat, kann man ihn so bewusst darüber machen und ihn in die Richtung erziehen, dass er nicht mehr danach verlangen soll.

Fünfter Schritt: Widerstand gegen den Nafs (al-Muǧāhada)

Der Diener muss eine eigene Widerstandskraft entwickeln, mit der er der Nachlässigkeit des Nafs widersteht. Immer dann, wenn der Nafs sehr aggressiv nach etwas verlangt, muss man genauso stur und aggressiv dagegenhalten und somit seine Widerstandskraft steigern. Es ist eine mentale Kraft und kann durch häufige Anwendung gesteigert und gestärkt werden.

Sechster Schritt: Selbstkritik

In vielen Biografiewerken großer Gelehrte und Gottesdiener findet man solche, von denen Aussagen überliefert wurden, in denen sie sich selbst tadeln. Es ist also möglich, dass man sich selbst durch Aussprechen oder inneres Denken über seine Fehler bewusst macht und sich selbst kritisiert, so dass man ein leicht angeschlagenes Gewissen hat. Ein Gewissen, dass nicht lähmt, sondern motiviert, am Problem zu arbeiten.

Diese sechs Schritte sind Methoden und Anreize, Dinge zu tun, um bewusster zu leben und sich selbst bewusster wahrzunehmen. Durch diese Bewusstseinsübungen kann der Mensch enorme Fortschritte an seiner Persönlichkeit erzielen, da sie zur Steigerung und Verbesserung des Charakters dienen und dazu reizen und motivieren. Daher sollte jeder solche Formen von Selbstkontrolle als Gewohnheit entwickeln.

Al-Ḥasan al-Baṣrī (gest. 110 n.H.) sagte: “Wahrlich der Gläubige ist derjenige, der sein Nafs (Ego) im Griff hat. Er zieht sein Nafs für Allāh zur Rechenschaft. Und die Strafe am Jüngsten Tag wird für diejenigen erleichtert, die sich im Diesseits zur Rechenschaft gezogen haben. Und die Strafe am Jüngsten Tag wird für diejenigen erschwert, die das Leben im Diesseits ohne Rechenschaft hingenommen haben.”

Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, sagte: “Der Schlaue ist der, der sein Nafs erzieht und für das (Leben) nach dem Tod arbeitet. Der Armselige ist der, der den Neigungen seines Nafs folgt und leere Hoffnungen von Allāh pflegt.” (at-Tirmiḏī, Ibn Māǧa)

Donnerstag, 22. Februar 2018

Urteile gerecht oder gar nicht

Einer der wichtigen psychologischen Phänomene des Menschen ist das schwache und schnelle Urteil. Dies ist die geistig primitivste Haltung des Menschen, welche wir auch im Traum erleben. Wenn dem Menschen im Schlaf etwas geschieht, dann erlebt er im Traum  das, was er am unmittelbarsten denkt. Wenn jemand nach ihm ruft, hört er jemanden im Traum nach ihm rufen; und andersrum, wenn er im Traum fällt, denkt er, er würde in Wirklichkeit fallen. Das Gehirn ist im Traum also unfähig, einen kritischen Gedanken zwischen Wahrnehmung und Urteil zu erzeugen.

Diese Leichtgläubigkeit, dieser unkritische und primitive Ausdruck der menschlichen Wahrnehmung, wird durch reflektiertes und mündiges Denken und Urteilen beseitigt. Über dieses Phänomen, was ich als kritische Distanz bezeichnet habe, habe ich zuvor schon gesprochen und woanders betont, wie wichtig bewusstes Urteilen und Handeln sind.

Leider ist diese Geisteshaltung, Dinge schnell zu glauben, oder schnell über Personen oder Umstände zu urteilen, eine verbreitete Krankheit unter Muslimen geworden. Das liegt auch teilweise daran, dass der Mensch immer mehr Informationen verarbeiten muss und daher kaum Zeit bleibt, jede Sache tiefgründig zu überdenken. Halb so schlimm wäre es, wenn man sich der Urteile enthält. Problematisch wird es aber, wenn wir über Dinge urteilen, die wichtig sind, wir aber zu wenig Faktoren berücksichtigen, bevor wir ein Urteil abgeben.

Diesen Fehler beschreibt unser erhabener Herr im Qurʾān in der Geschichte von Dāwūd, Allāhs Friede sei auf ihm, als dieser in seiner Gebetsnische war und zwei Engel in Menschengestalt zu ihm kamen:

"Ist nicht die Geschichte der zwei Streitenden zu dir gekommen, als diese über die Mauer des Gebetsplatzes kletterten. Als sie bei Dāwūd eintraten und er sich erschrak. Sie sagten: 'Fürchte dich nicht. Zwei Streitende (sind wir), die sich einander vergangen haben, so urteile zwischen uns in Wahrheit, und handle nicht ungerecht und führe uns zu einem geebneten Weg. Dieser ist mein Bruder. Er hat 99 Schafe und ich habe ein Schaf. Er sagte 'Gib sie mir' und er übertraf mich in der Rede.' 
Er (Dāwūd) sagte: 'Er hat dir fürwahr Unrecht getan, als er dein Schaf zu seinen Schafen wünschte. Und viele der Teilhaber vergehen sich gegeneinander, ausgenommen die, die glauben und gute Werke tun; und wenig sind diese.'
Und Dāwūd bemerkte, dass wir ihn geprüft haben, so kehrte er sich reumütig um und warf sich nieder und bereute." (Sūrah Ṣād - Verse 21-24)

Diese zwei Streitenden lösten sich plötzlich in Luft auf, nachdem Dāwūd sein Urteil gegeben hatte. Daher bemerkte er, dass es sich um eine göttliche Prüfung gehandelt haben muss. Er bemerkte, dass er einen Fehler getan hat, was in die Bücher als der Fehler Dāwūds eingegangen ist. Er hat nämlich über den Fall geurteilt, ohne sich die Position des anderen anzuhören. Für ihn wirkte es klar wie eine Ungerechtigkeit, dass ein Mann mit 99 Schafen das einzige Schaf seines Bruders verlangt. Das wirkte für ihn wie ein klarer Fall, so dass er es nicht für nötig hielt, die andere Seite anzuhören. 

ʿAbdullāh ibn Mubārak berichtet in seinem Kitāb az-Zuhd wa r-Raqāʾiq einige Aussagen über die Reue Dāwūds, Allāhs Friede sei auf ihm:

Al-Ḥasan al-Baṣrī sagte: "Als Dāwūd diesen Fehler beging, verweilte er vierzig Nächte in der Niederwerfung."

ʿAbdullāh ibn ʿUbayd sagte: "Dāwūd verharrte vierzig Nächte in der Niederwerfung weinend."

Muǧāhid sagte: "Er verblieb vierzig Tage in der Niederwerfung und er hob seinen Kopf nicht, bis auf dem Boden Gras gewachsen war durch seine Tränen."

Und Allāh, der Gnadenvolle und Allbarmherzige, nahm seine Reue an:

"Und so vergaben wir ihm dieses. Und er hatte bei uns fürwahr eine gute Stellung und eine schöne Einkehr. O Dāwūd, wir haben dich zu einem Sachwalter im Diesseits gemacht. Richte daher zwischen den Menschen in Gerechtigkeit und folge nicht deinen Gelüsten, damit sie dich nicht vom Weg abirren lassen. Die, die sich von Allāhs Weg abirren lassen, denen wird eine strenge Strafe zuteil, weil sie den Tag der Abrechnung vergaßen." (Sūrah Ṣād - Verse 25-26)

Die Weisheit ist hier sehr tiefgreifend und beachtenswert. Denn egal, wie klar und deutlich eine Situation aussieht, darf man nicht darüber urteilen, solange man nicht alle notwendigen Faktoren erfahren hat. Wenn man zwischen Personen schlichtet und Probleme zwischen mehreren Personen lösen bzw. beurteilen möchte, muss man jede Partei und jede Instanz anhören und erst dann darf man ein Urteil abgeben. Egal wie klar und deutlich die Situation auch scheinen mag.

Allāh, der Allweise und Allwissende sagt über die Diskussionen, die die Menschen bzgl. der Anzahl der Leute der Höhle (Aṣḥāb al-Kahf) geführt haben:

"Und diskutiere nicht über sie, außer in einer klaren Diskussion." (Sūrah al-Kahf - Vers 22)

Und an weiteren Stellen sagt unser Herr:

"Und wahrlich die Vermutung ersetzt die Wahrheit in keinster Weise." (Sūrah an-Naǧm - Vers 28)

"Wahrlich Allāh befiehlt euch, dass Anvertraute den Besitzern auszuhändigen und, wenn ihr über die Menschen richtet, in Gerechtigkeit zu richten." (Sūrah an-Nisāʾ - Vers 58)

Es wird ersichtlich, dass Allāh, der Gerechte und Vollkommene, von uns möchte, dass wir präzise darin sind, wenn wir über die Angelegenheiten der Menschen richten und sie beurteilen. Wenn uns die Angelegenheiten der Menschen jedoch nichts angehen, so ist es auch nicht unsere Aufgabe zu richten und zu urteilen. Daher muss der schlaue Gläubige begreifen, dass das Richten und das Urteilen sehr gefährlich sind und viel Vorsicht bedürfen und daher muss er immer dazu geneigt sein, gar nichts über andere zu denken und sie nicht im Innern durch Gedanken oder durch Äußerung von Aussagen zu beurteilen. 

Erst indem wir uns kurz anhalten und uns darüber bewusst werden, dass wir eine Sache gar nicht erst zu bewerten brauchen oder nicht genug Informationen haben, um der Sache gerecht zu werden, können wir eine kritische Distanz aufbauen. Diese kritische Distanz führt dann dazu, dass man generell kein Urteil im Kopf bildet, wenn man mit einer neuen Sachlage konfrontiert wird. Dies ist eine notwendige Qualität eines guten Gläubigen. Denn dadurch bewahrt man sich vor vielen üblen Dingen wie Leichtgläubigkeit, negative Gedanken, Abneigung gegen andere, Verurteilung, Verachtung, Herabschauen und dadurch auch noch das eigene Ego beflügeln usw.
Durch diese unkritische und voreilige Be- und Verurteilung öffnen sich so viele Türen zum Schlechten und zu Sünden und Fehlern des Herzens. Daher muss ein jeder Gläubiger diese kritische Distanz entwickeln und sie ständig üben.

"Wahrlich, Allāh gebietet die Gerechtigkeit, die Güte und die Beschenkung der Verwandten; und Er verbietet die Schändlichkeit, die Abscheulichkeit und die Gewalttätigkeit. Er warnt euch, auf dass ihr euch besinnen möget." (Sūrah an-Naḥl - Vers 90)

Sonntag, 14. Januar 2018

Prinzipien der Unabhängigkeit - Anleitung für ein glückliches Leben

(Diesen Artikel findet ihr auch als Vortrag auf YouTube)

Wie in dem Artikel vom November schon besprochen wurde, spielt der Gedanke der Unabhängigkeit von den Geschöpfen eine wichtige Rolle, um eine intensive Beziehung zu unserem Schöpfer herzustellen. Das Konzept der Unabhängigkeit fällt unter die Kategorie des Vertrauens auf Allāh (at-Tawakkul ʿala-llāh) und bedarf einer ausführlichen Erklärung, da at-Tawakkul in der gängigen Literatur und den Unterrichten zu oberflächlich besprochen wird und viele gar nicht wissen, dass der Diener gewisse Prinzipien (bzw. Regeln) einhalten muss, um wirklich sein Vertrauen auf Allāh zu beweisen und auch die Ruhe und die Resultate zu erlangen, die darauf folgen, dass man das Vertrauen auf Allāh richtig verwirklicht hat. In diesem Artikel möchte ich die Grundgedanken und Prinzipien verständlich ausführen und hoffe von Allāh, dass ich mit meinen Untersuchungen und Interpretationen das Rechte getroffen habe und bitte Ihn darum, dass Er dieses Konzept in der Anwendung segnen soll, damit seine Funktionalität für den Gläubigen ersichtlich wird und es die Herzen somit Allāh näher bringt.

Die Grundgedanken


Die Grundgedanken sind wie das Fundament, die die Prinzipien antreiben und erst richtig sinnvoll machen.

1. Das Vertrauen auf Allāh (at-Tawakkul ʿala-llāh)


Ibn ʿAbbās überliefert vom Propheten, Friede und Segen auf ihm, dass er sagte: „70.000 von meiner Umma werden das Paradies ohne Abrechnung betreten; es sind solche, die nicht nach Ruqya fragen oder an Omen glauben oder Brenneisen [eine Form von Wahrsagerei] verwenden und die sich auf ihren Herrn verlassen.“ [Bei Buḫārī und Muslim überliefert]

Es wird von vielen Gelehrten wie Imām Aḥmad, Qāḍī ʿIyāḍ, Ibn Taymiyya und vielen anderen überliefert, dass sie das Erfragen von Ruqyā als einen Mangel von at-Tawakkul angesehen haben.

Ibn Taymiyya sagte: "Dass sie nicht nach Ruqya fragen bedeutet, dass sie es nicht von anderen erbitten. Ruqya gehört zur Kategorie von Bittgebeten und es wird daher von niemanden verlangt."

Das bedeutet, dass Ruqya eine Form von Bittgebet ist, bei dem man Allāh um Heilung bittet. Allgemeiner betrachtet ist es somit ein Mangel von Tawakkul, dass man andere um die Erledigung einer Sache bittet, die man eigentlich direkt an Allāh richten müsste. Daher ist das Verlangen von Ruqya oder das Verlangen von Bittgebeten von anderen eine Form von Mangel an Tawakkul. [Ausnahme bei Bittgebeten ist, dass man diejenigen um Bittgebete bitten kann, die eine besondere Stellung im Bittgebet haben, wie dem Pilgerer, der auf den ʿArafa-Berg steigt oder das Bittgebet des Reisenden und dergleichen.]

Der Gedanke hierbei ist, dass der Diener auf die Wirkung seines Bittgebetes oder seiner Ruqya vertrauen muss. Er muss davon ausgehen, dass Allāh sein Bittgebet garantiert hört und ihn nicht einfach ignoriert oder dergleichen. Daher muss der Diener Zuversicht in seine eigene Beziehung zu Allāh entwickeln.

2.  Die Genügsamkeit mit Allāh (al-Iktifāʾ billāh)


Allāh, der Erhabene und Majestätische, spricht in seinem Buch:

"Ist Allāh Seinem Diener nicht genug?" (Sūrah az-Zumar - Vers 36)

"O Gesandter, Allāh reicht dir und denjenigen von den Gläubigen, die dir folgen." (Sūrah al-Anfāl - Vers 64)

"Allāh wird dir ihnen gegenüber genügen." (Sūrah al-Baqara - Vers 137)

Der zweite Grundgedanke baut auf solcherlei Verse und Aussagen auf, bei denen verdeutlicht wird, dass Allāh dem Diener ausreichend ist und der Diener nichts außer Ihm benötigt. Man könnte erwidern, dass der Mensch ja zum Überleben gewissen Dinge benötigt. Jedoch sind diese Dinge sogenannte Mittel (Asbāb), die von Allāh zur Verfügung gestellt werden.

Wenn der Diener diesem Verhältnis bewusst wird, richtet sich der Fokus nicht auf die Mittel selbst, sondern auf Allāh, der die Mittel zur Verfügung stellt und bemisst. Begreift man also, dass man nur Allāh benötigt, wird man kein Gefühl von Unzufriedenheit mit der Dunyā entwickeln können. Denn Unzufriedenheit kommt durch Verlangen, welches nicht gestillt wird. Wenn man sein Verlangen nur auf Allāh richtet, hat man alles, was man benötigt. Erzeugt man aber aus seinem Nafs (Ego) heraus weitere Wünsche und Verlangen, erzeugt man damit auch automatisch die Gefahr auf Unzufriedenheit.

3. Die Unabhängigkeit durch Allāh (al-Istiġnāʾ billāh)


ʿAbdurraḥmān ibn ʿAwf überliefert vom Propheten, Allāhs Friede und Segen auf ihm, dass er sagte: 

Drei (Dinge) schwöre ich bei dem, in dessen Hand die Seele von Muḥammad ist und dafür stehe ich fest: 
(1.) Das Vermögen von dem, was ihr an Spenden spendet nimmt nicht ab. 
(2.) Keiner verzeiht einer Ungerechtigkeit mit dem Verlangen nach dem Angesicht Allāhs, außer dass Allāh ihn dadurch erhöht. 
(Anderer Wortlaut) …außer dass Allāh seine Ehre am Jüngsten Tag vermehrt. 
(3.) Kein Diener macht die Tür der Fragerei auf, außer dass Allāh die Tür der Armut für ihn öffnet.“ [Überliefert bei Musnad Aḥmad]

Der dritte Punkt in dieser Überlieferung beinhaltet den Grundgedanken. Die Fragerei bedeutet, dass man unnötige Dinge erfragt oder Menschen mit ständigen Fragen belästigt. Sinnvolle Fragen sind davon nicht betroffen. Es geht hierbei eher um die Einstellung. Wenn der Diener sich ständig abhängig macht von den Menschen, indem er bei all seinen Bedürfnissen zu ihnen geht, verliert er die Fähigkeit, eigenständig zu streben. Er macht sich automatisch abhängig von den Menschen, indem er es sich zur Gewohnheit macht, bei all seinen Fragen, Wünschen und Verlangen zu den Menschen zu gehen, statt innezuhalten und zu schauen, ob er nicht einen eigenen Weg zur Lösung seiner Probleme finden kann. Dieses Fehlverhalten kann letztendlich zur Lähmung und Unfähigkeit führen und im Endeffekt zur Aufgabe des eigenen Antriebs und der eigenen Identität. Man wird somit zum Sklaven und unterwirft sich den Geschöpfen.

Allāh, Erhaben ist Er und vollkommen ist Seine Huld und Gnade, hat nicht den Wunsch, dass wir abhängig von Seinen Geschöpfen werden. Vielmehr möchte Er, dass wir die einzig wahre und tatsächliche Abhängigkeit, also die Abhängigkeit zu Ihm, begreifen. Deshalb zielt dieser Grundgedanke darauf hin, durch das Bewusstsein über diese Abhängigkeit zu Allāh, die Abhängigkeit zu den Geschöpfen zu verlieren und somit Unabhängig durch Allāh zu werden.

Die Prinzipien


Die Prinzipien sind konkrete Anweisungen oder Regeln, die der Diener einhalten und berücksichtigen muss, um auf der Grundlage dieser Grundgedanken ein richtiges Verständnis und einen richtigen Maßstab zu entwickeln. Jedes Prinzip hat eine Prämisse (Annahme), die sich der Diener vor Augen behalten muss. Viele der Prinzipien sind auch in der Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, zu finden. Die Ereignisse sollen hier kurz erwähnt werden.

1. Die Fragerei meiden


Anschließend an die oben erwähnte Überlieferung muss dieses Prinzip nun ausgeführt werden. Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, berichtet uns, dass Allāh die Tür der Armut für einen Diener aufmacht, wenn er sich durch seine unnötige Fragerei den Menschen unterwirft. Wenn man die Rechnung aber umdreht, hieße es, dass Allāh die Tür der Armut geschlossen hält, wenn man darauf achtet, den Menschen nicht zur Last zu werden und sich ihnen nicht unterwirft durch ständiges Verlangen.

Der Diener muss daher das Bewusstsein entwickeln, sich davor zu schämen, Dinge zu erfragen. Allāh, der Erhabene und Allgnädige, beschreibt diese Eigenschaft bei den Armen:
"Für die Armen, die auf dem Wege Allāhs gehindert werden, sich frei auf der Erde zu bewegen. Der Unwissende denkt, dass sie reich sind, aufgrund ihrer Zurückhaltung. Du erkennst sie an ihren Merkmalen; sie fragen die Menschen nicht nach ihren Verlangen." (Sūrah al-Baqara - Vers 273)

Sogar wenn man bedürftig ist und an der Grenze zwischen Armut und Versorgung steht, sollte man diese Haltung einnehmen. Der Grund ist auch aus diesem Prinzip ersichtlich. Es ist das Vertrauen darauf, dass Allāh sich um das Bedürfnis des Dieners kümmert, wenn man sich davor zurückhält, die Menschen zu fragen.

Annahme: Wenn ich die Tür der Fragerei geschlossen halte, um den Menschen nicht zur Last zu fallen und gleichzeitig so unabhängig von ihnen zu sein versuche, bewahrt mich Allāh vor der Abhängigkeit von ihnen und lässt die Tür der Armut, die mich dazu zwingen könnte, zu ihren Türen zu gehen, geschlossen. Ich versuche daher die Dinge, die ich selber erledigen kann, anderen nicht aufzulasten.

Der Prophet Mūsā floh aus Ägypten, weil er dort aufgrund eines unabsichtlichen Mordes gesucht wurde. Er floh ohne Proviant in die Wüste, in der er nie zuvor war und wanderte um die acht Tage hungernd umher und ernährte sich bloß von Blättern. Nach einer Zeit kam er an der Wasserstelle von Madyan an und fand eine Herde, die zum Trinken hergebracht wurde. Etwas weiter hinten standen zwei Frauen mit ihren Tieren. Da das Tränken von Tieren eine reine Männerarbeit war, ging Mūsā zu ihnen und fragte, warum sie hier seien. Sie sagten, dass sie ihre Tiere erst dann tränken wollen, wenn die Männer mit ihren Tieren davon gezogen sind und sie dies erledigen müssen, weil ihr Vater ein alter Mann ist, der dazu nicht mehr in der Lage ist. Mūsā nahm die Tiere, tränkte sie und gab sie den Frauen zurück und schickte sie weg. Dann ging er unter den Schatten eines Baumes und sprach das Bittgebet: "O Herr, was du mir an Gutem herabsendest, dessen bin ich bedürftig." Im Lauf der Zeit kam einer der Frauen zu Mūsā und lud ihn ein, damit ihr Vater ihn für seine Arbeit belohnen kann. Er ging zu ihrem Vater, erzählte seine Situation und bekam das Angebot, 8-10 Jahre dort zu arbeiten und einer seiner beiden Töchter zu heiraten. (Ausführlichere Darstellung in Sūrah al-Qaṣaṣ, Verse 1-28)

Wichtig hierbei sind folgende Punkte, die auch bei den späteren Prinzipien von Bedeutung sind: 
1. Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, kam an der Wasserstelle an und fragte niemanden nach Essen oder etwas anderes, obwohl er klar in einer Notsituation war.
2. Er sah eine Situation, die nicht gepasst hat und hat etwas unternommen, um etwas gerade zu stellen.
3. Nachdem er den Frauen geholfen hat, hat er von ihnen weder Geld noch Essen verlangt. Stattdessen schickte er sie weg und bat Allāh um das Gute, ohne es zu definieren.

Der Diener sollte daher die Dinge, die er selber erledigen kann, sei es auch nur eine Kleinigkeit, selber erledigen und andere nicht aus Gemütlichkeit darum bitten.

2. Die Angebote des Schicksals wahrnehmen


Aus der Geschichte von Mūsā geht das nächste Prinzip hervor. Es geht um die Art und Weise, wie der Diener mit Allāh eine Art Handel betreibt. Als Mūsā Ägypten verlassen hatte, sprach er ein Bittgebet um Rettung. Und als er in der Wüste umher ging, hoffte er von Allāh die Weisung/Führung. Auf das Bittgebet und die Erwartung folgte eine Aufgabe, wo er seine Kraft und seine Energie investiert hat, um anschließend unter dem Baum mit Allāh "abzurechnen", indem er sein Bedürfnis bescheiden zum Ausdruck brachte.

Daraus folgt das zweite Prinzip: Um das Gute zu erlangen und um das zu erlangen, was Allāh Seinen Dienern versprochen hat, muss man bereit sein, sich selbst für Allāh abzumühen. Daher muss der Diener jede Aufgabe und jede Einladung zum Guten wahrnehmen, wenn sie für ihn auf seinem Schicksalsweg positioniert wurde. Denn die Aufgaben, die auf den Weg gelegt werden, sind nicht durch uns selber bestimmt worden. Wenn Allāh somit eine Gelegenheit auf den Lebensweg des Dieners legt, dann ist das wie eine individuelle Verpflichtung, die zuerst erfüllt werden muss, bevor Allāh dadurch eine Tür zum Guten eröffnet.

Es ist wichtig, dass man in Anbetracht dieses Prinzip niemals nein sagt bzw. sehr gut überlegt, bevor man nein zu einer Aufgabe oder Einladung des Schicksals sagt. Jedes Nein kann Grund dafür sein, dass eine Tür zum Guten geschlossen bleibt.

Annahme: Ich investiere meine Kraft und Energie in eine für mich bestimmte Aufgabe im Schicksal und erwarte von Allāh eine Rückwirkung.

Es gibt zahlreiche Überlieferungen, in denen der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, immer wieder betont, dass Allāh seinem Diener hilft, wenn der Diener seinen Brüdern hilft. Dass Allāh die Fehler bedeckt, wenn der Diener die Fehler seiner Brüder bedeckt. Diese und solcherlei vieler Überlieferungen deuten darauf hin, dass die Einsätze für die Glaubensgeschwister in gleicher und/oder besserer Form auf einen wieder zurückkommen werden.

3. Die Erwartungen anpassen


Allāh, der Erhabene und Vollkommene, beschreibt die Einstellung derjenigen, die auf Seinem Wege spenden wie folgt:

"Und sie speisen, trotz der Liebe zu dem (was sie zu speisen geben), die Bedürftigen, die Weisen und die Gefangenen. 'Wahrlich, wir speisen euch nur um Allāhs Angesicht. Wir möchten von euch weder Lohn noch Dank.'" (Sūrah al-Insān - Verse 8-9)

Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, sagte:
"Kein Lohn für denjenigen, der (den Lohn) nicht erwartet." [Überliefert bei al-Bayhaqī]
Al-Munāwī kommentierte den Hadīṯ folgendermaßen: "D.h. kein Lohn für denjenigen, der mit seiner Tat nicht beabsichtigt hat, Allāhs Angelegenheit zu erfüllen."

Es ist wichtig, dass der Diener bei seinen guten Taten nur von Allāh einen Lohn erwartet, weil er sonst der Gefahr ausläuft, den Lohn seiner guten Tat zu verderben. Es ist genau so wichtig, dessen bewusst zu werden, dass das Erwarten von Allāh, dass Er Seine Versprechen einhalten wird, mit Gewissheit auch zu einem Resultat führen wird.

Allāh, voller Gnade und Huld ist Er, sagt:

"Das Versprechen Allāhs! Allāh bricht Sein Versprechen nicht; doch die meisten Menschen wissen es nicht." (Sūrah ar-Rūm - Vers 6)

Wenn man also berechtigt etwas von Allāh erwartet, ist es auch somit garantiert, dass Er dieser Erwartung auf beste Art und Weise gerecht wird. 
Diese Einstellung beinhaltet sehr sehr viele Vorteile für das eigene Wohlbefinden. Darunter:
1. Dadurch, dass man von den Menschen keinen Dank oder Lohn erwartet, ist ihre Reaktion auf eine gute Tat gleichgültig. Man wird nicht enttäuscht, weil man keine Gegenleistung erwartet.
2. Man fängt an, den Menschen gerne zu helfen, weil man weiß, dass man von Allāh eine gute Gegenleistung erwarten kann.
3. Die Menschen werden nicht mehr als Individuen relevant. In Bezug auf das zweite Prinzip heißt das, dass man die Menschen nur noch als Gelegenheit ansieht, seine Kraft und Energie in das Schicksal zu investieren. Man sieht die Menschen nur noch als Zugangstor für diesen Einsatz und rechnet nur noch mit Allāh ab. Dadurch ist man stets motiviert, den Menschen zu helfen.

Annahme: Allāh kümmert sich um alles auf dieser Welt und ich erstrebe einzig Sein Angesicht. Daher darf ich nichts bzw. nur wenig von seinen Geschöpfen erwarten und muss meine Erwartungen auf Ihn verlagern (insbesondere wenn es um gute Taten geht, da ich hierbei nur von Ihm den Lohn erwarten darf). Wenn ich etwas Gutes tue, ist das Vorhandensein oder das Fehlen der Anerkennung der Menschen absolut gleichgültig.

4. Bittgebete allgemein sprechen


Aus der erwähnten Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, geht auch dieses Prinzip hervor. Wir sehen, dass er trotz klarer Bedürfnisse (wie Hunger oder Orientierungslosigkeit) unter dem Baum lediglich um das Gute bat. Er definierte das Gute nicht in Form einer spezifischen Gabe. Das ist eine Eigenschaft, die wir bei vielen Bittgebeten der Propheten sehen können und es so erklärt wird, dass die Propheten sich davor geschämt haben, etwas Konkretes für sich selber zu erbitten. Der Gedanke hierbei ist, dass das Konkrete bzw. Spezifische nicht unbedingt gut für einen selbst sein muss. Daher ist man bescheiden und schränkt das Gute nicht auf die eigenen Vorstellungen ein, sondern überlässt Allāh die Bestimmung des Guten. Des Weiteren kann man natürlich um alle Dinge bitten, die klar und deutlich gut sind, wie das Paradies, die Rechtleitung usw.

Annahme: Das Spezifische auf dieser Welt kann gut als auch schlecht für mich sein. Daher maße ich mir nicht an, zu definieren, was gut für mich sein könnte und überlasse die Konkretisierung des Guten Allāh und bitte nur um allgemeine und absolut gute Sachen.

5. Die Versprechen Allāhs beobachten


Aus der Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, können wir auch dieses Prinzip entnehmen. Allāh verspricht etwas und erfüllt Seine Versprechen auch, um die Gewissheit und Ruhe im Herzen des Gläubigen zu steigern.

Als Mūsā neu geboren wurde, wurde vom Pharao aufgrund einer Prophezeiung eines Wahrsagers bestimmt, dass alle männlichen Neugeborenen aus dem Stamm Banī Isrāʾīl nach der Geburt getötet werden sollen. Allāh gab der Mutter von Mūsā ein, dass sie Mūsā in den Fluss legen soll und dass Er Mūsa wieder zurückbringen und zu einem Propheten machen wird. Die Mutter tat dies, war jedoch voller Sorge und befahl daher ihrer Tochter, dass sie Mūsā verfolgen soll, um zu schauen, dass er irgendwo in sichere Hände gelangt. Die Frau des Pharaos fand Mūsā und schlug vor, ihn zum Sohn zu nehmen. Der Pharao stimmte zu, jedoch brauchte Mūsā noch eine Milchmutter. Allāh ließ es nicht zu, dass er die Milch von anderen Frauen annahm. So kam die Schwester und erklärte ihnen, dass sie eine Familie kennt, die ihn stillen kann und verwies auf die Mutter von Mūsā.

Allāh, der Erhabene und Gnädige, sagt dazu:

"Dann gaben Wir ihn seiner Mutter zurück, damit ihr Auge mit Freude erfüllt würde und damit sie sich nicht grämte und damit sie wissen sollte, dass Allāhs Versprechen wahr ist. Jedoch die meisten von ihnen wissen es nicht." (Sūrah al-Qaṣaṣ - Vers 13)

Allāh erfüllt seine Versprechen und steigert somit die Ruhe und die Gewissheit in den Herzen der Gläubigen. Diesen Prozess sehen wir bei Mūsā selber, als er zum Propheten berufen wurde.

Am Anfang seiner Berufung ereignet sich die Geschichte wie folgt:
"Und da rief dein Herr zu Mūsā: 'Geh zu dem Volk der Ungerechten, dem Volke Pharaos. Wollen sie denn nicht gottesfürchtig sein?' Er sagte: 'Mein Herr, ich fürchte, sie werden mich der Lüge bezichtigen, und meine Brust wird beklemmt, und meine Zunge versagt zu sprechen. Schicke darum (auch) zu Hārūn. Auch haben sie eine Schuldklage gegen mich erhoben, deshalb fürchte ich, dass sie mich umbringen werden.' Er sprach: 'Keineswegs! Geht nur beide mit Unseren Zeichen hin. Wir sind mit euch; Wir werden mit euch zuhören.'" (Sūrah aš-Šuʿarāʾ - Verse 10-15)

Nachdem Mūsā seine Botschaft überbracht hat und viele Jahre in Ägypten versucht hat, zur Wahrheit zu rufen und Allāh viele klare und deutliche Zeichen und Katastrophen über Ägypten ziehen ließ, hat Mūsā die Macht und Kraft Allāhs immer wieder in klarer Form zu sehen bekommen und seine Gewissheit und seine Sicherheit in Allāh sind somit gestiegen. Bis zum Tag, wo Allāh den Befehl erteilt hat, dass Mūsā mit dem Stamm Banī Isrāʾīl in der Nacht ausziehen soll und Pharao sie am Morgen mit seiner Armee dann verfolgte, bis er sie am Meer eingeholt hat.

"Als die beiden Scharen einander ansichtig wurden, sagten die Gefährten Mūsās: 'Wir werden sicher eingeholt werden.' Er sagte: 'Keineswegs! Mein Herr ist mit mir. Er wird mich richtig führen.' Darauf offenbarten Wir Mūsā: 'Schlage das Meer mit deinem Stock.' Und es teilte sich, und jeder Teil erhob sich wie ein gewaltiger Berg.' Und Wir ließen alsdann die anderen nahe herankommen. Und Wir erretteten Mūsā und alle, die mit ihm waren. Dann ertränkten Wir die anderen." (Sūrah aš-Šuʿarāʾ -  Verse 61-66)

Während Mūsā am Anfang seiner Berufung noch voller Ängste und Zweifel war, und Allāh ihn mit dem deutlichen Ausruf "Keineswegs!" besänftigte, ist er am Ende derjenige, der sein Volk mit demselben Ausruf besänftigt. Die Jahre, in denen er somit beobachten konnte, wie das Versprechen Allāhs in Erfüllung geht, haben sein Herz gefestigt und seine Gewissheit gesteigert. Daher sagen die Gelehrten, dass alle Propheten diese Stufen der Gewissheit aufsteigen und mit einer vollkommenen und edlen Stufe dann von dieser Welt gehen.

Annahme: Wer immer wieder sieht, dass Allāhs Versprechen erfüllt werden, dessen Glaube und Gewissheit nehmen zu.

Daher muss der Diener immer genau beobachten und realisieren, wie Allāh Seine Versprechen einhält und verwirklicht, damit er staunen und Allāhs Plan bewundern kann, damit die Herzen in ihrer Festigkeit zunehmen und die Gewissheit steigen kann.

Allāh, der Erhabene, sagt daher:
"...und was die Gnade deines Herrn angeht, so erzähle davon.“ (Sūrah aḍ-Ḍuḥā - Vers 11)

Der Diener muss und soll nicht nur sein eigenes Leben beobachten, sondern soll sich austauschen und anderen seine Eindrücke von Allāhs Planmäßigkeit erzählen und auch von den Ereignissen um ihn herum lernen. Wenn die Gläubigen untereinander darauf aufmerksam machen, wie Allāh die Dinge einrichtet, entsteht eine kollektiver Anstieg dieser Herzensruhe und des Vertrauens auf Allāh.

6. Sich nicht beschweren


Wenn es um Sorgen und Not geht, so ist auch hier einzig und allein die Tür unseres Herrn zu ersuchen.

Allāh, der Weise und Vollkommene, erzählt uns von den Worten Yaʿqūbs, Allāhs Friede auf ihm:

"Er (Yaʿqūb) sagte: 'Ich beklage nur meinen Kummer und meinen Gram vor Allah, und ich weiß von Allah, was ihr nicht wisset.'“ (Sūrah Yūsuf - Vers 86)

Ibn Qayyim al-Ǧawziyya sagte: „Die Geduld ist das Zurückhalten der Zunge im Beschweren bei jemand anderen außer bei Allāh.“ [ʿUddat aṣ-Ṣābirīn]

Die sinnlose Beschwerde und das Klagen bei anderen außer bei Allāh führt dazu, dass Allāh sich dem Problem nicht zuwendet. Das liegt auch auf der Hand, weil man einfach sein Problem nach außen verlagert. Hierunter fallen natürlich nicht die sinnvollen Beschwerden, wenn man zu einem Gericht geht oder etwas bewegen möchte mit der Beschwerde. Es geht hier um das Jammern und das Klagen oder was man auch als "Luft-Rauslassen" bezeichnet. Man will einfach irgendwie irgendjemandem seine Sorgen erzählen und macht damit das Problem nicht besser. Dadurch, dass man die Lösung bei den Geschöpfen sucht, obwohl es auf der Hand liegt, dass sie für dieses gewisse Problem keine Lösung haben werden, führt dazu, dass Allāh sich diesem Problem nicht widmet und den Diener damit allein lässt.

Die Negativität wird durch die Beschwerden aufrecht erhalten und das Herz wird erneut immer wieder an das Negative erinnert. Somit weilt das Problem unnötig lange und man lässt eine alte Wunde niemals richtig verheilen.

Annahme: Wenn ich mich nicht beschwere und ruhig und geduldig den Kopf vor der Bestimmung Allāhs senke, werde ich zum rechten Zeitpunkt eine Lösung durch Allāh bekommen.

7. Sich nicht selbst darstellen bzw. profilieren


Unter den Stamm Banī Isrāʾīl gab es einen reichen Mann namens Qārūn, welcher sich hochmütig mit seinen Reichtümern darstellte und von sich behauptete, dass er das alles durch sein Wissen erlangt hat.

"Er (Qārūn) sagte: 'Es (der Reichtum) wurde mir nur um des Wissens willen, das ich besitze, gegeben.' (Vers 78) [...]
Dann ließen Wir ihn von der Erde verschlingen, und (auch) sein Haus; und er hatte keine Schar, die ihm gegen Allāh helfen konnte, noch konnte er sich (selbst) retten. Und jene, die sich noch tags zuvor an seine Stelle gewünscht hatten, sagten: 'Ah sieh! Es ist wahrlich Allāh, Der denen von Seinen Dienern die Mittel zum Unterhalt erweitert und beschränkt, denen Er will. Wäre uns Allāh nicht Gnädig gewesen, hätte Er uns (von der Erde) verschlingen lassen. Ah sieh! Die Ungläubigen (Verleugner) haben nie Erfolg.' Jene Wohnstatt im Jenseits! Wir geben sie denen, die weder Selbsterhöhung auf Erden noch irgendein (anderes) Verderbnis begehren. Und der Ausgang ist für die Gottesfürchtigen. Wer Gutes vollbringt, soll Besseres als das erhalten; wer jedoch eine böse Tat vollbringt - jene, die böse Werke tun, sollen nur gemäß dem belohnt werden, was sie getan haben. (Sūrah al-Qaṣaṣ, Verse 81-84)

Qārūn hat also den Fehler gemacht, dass er prahlerisch war und gedacht hat, dass er selber die Quelle seines Vermögens sei. Er hat somit Allāh als den Bewirker und als Quelle jeder Kraft, Macht und Mittel verleugnet. Daher ist es von wichtiger Bedeutung, dass der Diener begreift, dass er nicht die Wirkung erzeugen kann und das dies einzig in Allāhs Hand liegt. Der Mensch kann nur seinen Willen aufbringen, etwas zu leisten. Ob diese Sache aber zum Erfolg führt oder nicht, liegt nicht in seiner Hand.


Und Allāh, der Erhabene, erzählt von den Worten, die Šuʿayb, Allāhs Friede auf ihm, äußerte:"
Und ich habe keinen Erfolg, außer durch Allāh. Auf Ihn verlasse ich mich und wende mich Ihm zu.“ (Sūrah Hūd - Vers 88) 

Und an einer anderen Stelle heißt es:
"Nicht ihr habt sie getötet, sondern Allāh tötete sie. Und nicht du hast (den Pfeil) abgeschossen, sondern Allāh gab den Schuss ab; und prüfen wollte Er die Gläubigen mit einer schönen Prüfung von Ihm. Wahrlich, Allah ist Allhörend, Allwissend." (Sūrah al-Anfāl - Vers 17)

Annahme: Allāh ist derjenige, der alle Wirkung zustande bringt. Es bringt daher nichts, mich selbst in den Vordergrund zu bringen, als ob meine Person eine Wirkung verursachen könnte. Die Herzen liegen in Allāhs Hand und auch die Wirkung und das Verhältnis aller Dinge zueinander kommen nur durch Seine Bestimmung zustande. Ich muss lediglich bereit sein, die Dinge zu erledigen und ihnen gerecht zu werden.

8. Die Verantwortungen meiden


ʿAbdurraḥman ibn Samura überliefert, dass der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, zu ihm sagte: „Frage nicht nach der Führung. Wenn du es durch die Fragerei bekommst, wirst du dafür verantwortlich sein. Wenn du es nicht durch das Fragen bekommen hast, wird dir dabei geholfen.“ [Bei Buḫārī überliefert]

Die Erklärung dieser Überlieferung liegt in der Einstellung der Menschen. Bittet man um eine Position und kommt in Schwierigkeiten, werden die Menschen erwidern, dass man doch selber an diese Position wollte. Wenn man aber in eine Position gebeten wird, werden bei Schwierigkeiten all diejenigen, die einen in diese Position bringen wollten, bereit zur Untersützung sein.

Der Muslim sollte nicht nach Verantwortungen suchen, denn jede Verantwortung ist eine weitere Last am Jüngsten Tag, nach der man gefragt werden wird. Daher belastet sich der Diener nicht mit unnötigen Aufgaben, sondern schaut, ob die Verantwortungen für ihn bestimmt sind. Entweder wird er dazu aufgefordert bzw. darum gebeten, oder er findet eine Situation, in der er sich selbst einbinden muss, weil er einer Verantwortung gewachsen ist und dafür die notwendigen Qualifikationen besitzt. Aber aktiv nach Verantwortung oder Stellung zu streben, ist eine Sache, die der schlaue Diener meiden muss.

Annahme: Ich belaste mich nicht unnötig mit Verantwortungen, über die mich Allāh am Jüngsten Tag befragen wird. Wenn Allāh mir aber eine Aufgabe auferlegt, so muss ich diese wahrnehmen und ausführen und erwarte auch Seine Hilfe und Unterstützung, da Er mich dafür ausgewählt hat.

9. Den Prinzipien treu sein


Da die Grundidee dieser ganzen Prinzipien darauf aufbaut, dass man seine Abhängigkeit von Allāh begreift und sich von den Geschöpfen unabhängig macht, bedarf es hierbei einer strengen Prinzipientreue. Denn es kann nicht sein, dass man für Allāh gewisse Prinzipien einhält, aber in der Anwesenheit von Person X oder der Umgebung Y anfängt diese nicht mehr einzuhalten. Daher müssen die Prinzipien ganzheitlich gelebt und begriffen werden. Anhand der Einflüsse der Personen oder Umgebungen kann der Diener schauen, ob diese Person oder diese Umgebung ihm bei dem Streben nach Allāhs Nähe zu einem Hindernis oder zu einer Bremse werden. Wenn sich dies herausstellt, kann der Diener Maßnahmen ergreifen, um eine bestmögliche Distanz zu diesen Personen oder Umgebungen aufzubauen. Andernfalls muss er sein Verhältnis zu dieser Person oder dieser Umgebung anpassen, damit er seinen Prinzipien treu sein kann, ohne diese Person oder Umgebung ganz zu beseitigen, weil das auch nicht immer realisierbar ist.


Zusammenfassung der Prinzipien


1. Fragerei meiden und somit eigenständig/selbstständig sein 
2. In das Schicksal investieren, indem man die Aufgaben wahrnimmt 
3. Resultate nur von Allāh erwarten 
4. Allgemein Gutes erbitten und offen sein für die Konkretisierung 
5. Allāhs Versprechen beobachten und ihre Erfüllung reflektieren 
6. Sich nicht beschweren | geduldig und dankbar sein 
7. Keine Selbstdarstellung oder Profilierung 
8. Verantwortungen meiden, bis sie schicksalhaft für einen bestimmt werden 
9. Prinzipientreu sein

Mit diesen Prinzipien soll eine Art Leitfaden ermöglicht werden, an dem sich der Diener orientieren kann, um eine Verbesserung seiner Beziehung zu Allāh zu erreichen. Sie sollen dazu dienen, dass das Bewusstsein über das Vertrauen auf Allāh deutlicher werden soll und dass man auch durch gewisse Regeln weiß, wie man seinen Teil als Diener erfüllen muss, um von Allāh eine Gegenleistung oder Reaktion zu erwarten.

Ich bitte Allāh dieses Werk zu segnen und vielen Menschen zugänglich zu machen. Ich habe persönlich sehr viel Zuversicht in diese Prinzipien und habe diese durch Erproben und Beobachten klar und deutlich immer wieder bestätigt bekommen. Daher erhoffe ich, dass der Inhalt dieses Artikels allen ersichtlich wird und es mit Allāhs Hilfe und Erfolg auch dazu dient, zur Handlung und zur Umsetzung anzuregen.

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...