Montag, 7. August 2017

Wir sehen, was wir sehen wollen.

In einer Welt voller Informationen und Wissensquellen ist es für viele ein anstrengendes Vorhaben, die gesunde Mitte selektiv zu erfassen. Daher bilden wir uns zur Vereinfachung einen Maßstab, der unsere Orientierung beim Selektieren anpasst und die Auswahl durch unterbewusste Vorgaben vereinfacht.
Bei dieser Methode schränkt man seine differenzierte Betrachtung zwar ein wenig ein, jedoch ist sie bei einer gesunden Anwendung immer noch ausreichend vorhanden.

Beispiel:
Aus Erfahrung weiß eine Person, dass gewisse Quellen nicht immer ganz sachlich berichten. Er erkennt dahinter eine Gesinnung und schlussfolgert, dass Quellen, die nach dieser Gesinnung handeln, prinzipiell vorsichtig zu handhaben sind. Es ensteht somit eine kritische Distanz ggü. der Quelle und der Gesinnung und man wird vorsichtig, wenn man etwas von dieser Quelle erfährt.

So sagt Allāh der Erhabene im Qurʾān:

"O ihr, die ihr glaubt, wenn ein Frevler euch eine Mitteilung bringt, so vergewissert euch, damit ihr nicht anderen Leuten in Unwissenheit ein Unrecht zufügt und daraufhin bereuen müsst, was ihr getan habt." (Sūrah al-Huǧurāt - Vers 6)

Menschen, die grundlegend unkritisch sind und keine Prinzipien und Überzeugungen besitzen und somit Identitätslücken aufweisen, laufen der Gefahr aus, dass sie von der ersten Quelle, die ihnen schön zuredet, auf ihr Gedankengut gepolt werden können.
Sobald eine Gesinnung ihr Gedankengut in die Köpfe solcher Leute eingepflanzt hat, ist diese Person nun gepolt und nimmt auch die Maßstäbe dieser Gesinnung an, wodurch ggü. anderen Denkweisen und Richtungen eine positive oder negative Haltung entsteht, ohne dass diese Person sich dabei Gedanken darüber gemacht hat. Einzig und allein wird die Haltung dieser Person durch die Vorgaben der Gesinnung bestimmt, welche schnell genug war, um diese Person für sich zu gewinnen, bevor andere Ideen sie erreichen konnten.

Sobald eine Person eine Gesinnung annimmt, bestimmt die Gesinnung den Maßstab dieser Person. Es bedeutet nicht, dass eine Gesinnung automatisch das kritische Denken beseitigt oder die differenzierte Betrachtung einschränkt, sondern es kann auch eine bewusst angenommene Überzeugung sein, die die Schwerpunkte beim Denken und Entscheiden anpasst.
Das Problem, was hierbei entstehen kann, ist eine kognitive Verzerrung, welche sich Bestätigungsfehler nennt. Kognitive Verzerrungen sind Störungen bei der Wahrnehmung einer Person. Es gibt unterschiedliche Störungen, bei der im Denk- und Wahrnehmungsprozess des Menschen andere Schwerpunkte und Neigungen die Urteilskraft der Person beeinflussen.
Der Bestätigungsfehler ist eine Störung, bei der man Informationen so selektiert, dass man unterbewusst die Dinge sucht, die eine vorherige Überzeugung bestätigen.

Beispiel:
Eine Person mag keine Ausländer. Er denkt, dass Ausländer häufiger gewalttätig sind. Sobald er in den Nachrichten hört, dass ein Ausländer gewalttätig war, empfindet er das als eine Bestätigung seiner Annahme. Sollte ein Ausländer in den Nachrichten positiv dargestellt werden, wird dieser Fakt ignoriert und die Überzeugung wird davon nicht berührt und es beginnt keine kritische Durchleuchtung der Überzeugung. Die Person kommt also nicht auf die Idee, differenziert zu denken, weil der Bestätigungsfehler die Wahrnehmung in eine gewisse Richtung neigt.

Bestätigungsfehler bei den Muslimen

1. Ideologischer Bestätigungsfehler
Der Bestätigungsfehler ist einer der häufigsten kognitiven Störungen unter Muslimen. Jede politische, extremistische, radikale oder anderweitig ideologische Bewegung, die sich religiös rechtfertigen möchte, ist mit dieser Störung belastet.
Denn eins haben die meisten dieser Ideologien gemeinsam. Sie haben Quellen, von denen sie sich geistig ernähren und durch die sie sich selbst rein waschen. Sie selektieren Verse, ʾAḥādīṯ und Aussagen der Gelehrten so, dass sie damit ihre Überzeugung stützen können und bilden somit einen religiösen Rahmen, der ihre Überzeugung heiligt.

Dabei sieht man häufig, dass sie von Gelehrten nehmen, deren Bücher und Werke sie nicht als Gesamtheit nehmen und untersuchen, sondern wo sie sich auf einzelne und aus dem Kontext herausgerissene Aussagen berufen. Es wäre also vollkommen egal, wenn der Gelehrte XYZ in seinen Büchern zu 99% etwas sagt, was ihrer Denkweise widerspricht. Sobald 1% in diesen Büchern für ihr Gedankengut hilfreich ist, werden sie sich genau auf diese 1% berufen.

2. Emotionaler Bestätigungsfehler
Dieser Mechanismus kommt häufig bei Personen vor, die traumatische Ereignisse erlebt haben und diese nicht erfolgreich verarbeiten konnten, weil sie zu dieser Zeit keine plausible Erklärung für ihr Leid finden konnten. Dadurch entsteht eine Verzerrung, bei der man eine negative Grundhaltung erzeugt. Der Grund, andere aufgrund von Rasse, Geschlecht oder anderen äußerlichen Faktoren zu hassen, liegt in dieser Art von Verzerrung. Der zuvor angesprochene Rassismus bildet sich nach diesem Muster.

Judenhass, Hass ggü. Andersgläubigen, Hass ggü. Gruppierungen usw. haben oft einen emotionalen Hintergrund. Auch wenn Ideologien gerne diesen Hass vorgeben, ist ihr Ursprung emotional, da sie mit Erfahrungen und Beispielen untermauert werden. 

"Muslime in Palästina werden von den Juden unterdrückt. Die Juden sind unsere Feinde." Solcherlei Gedankengut, der gerne religiös gerechtfertigt wird, ist nichts anderes als eine kognitive Verzerrung, bei der man Ereignisse so wahrnimmt, als ob es keine Alternative gäbe. Genau so, wie nicht jeder Ausländer gewalttätig ist, ist nicht jeder Jude ein Freund der Unterdrückung der Muslime in Palästina. Solche undifferenzierten Schlüsse sind kognitive Verzerrungen, bei denen eine Person in den Nachrichten oder durch andere Medien von Ereignissen erfährt, weswegen sie aus den einzelnen Fällen dann eine Abneigung ggü. der Allgemeinheit entwickelt.

Auch junge Muslime, die Beziehungsprobleme erleben (siehe: Liebeskummer), welche oft in einem Rahmen ablaufen, der die grüne Zone der Religion überschreitet, erzeugen auf ihren Kummer oder ihre Enttäuschung eine Abneigung ggü. äußeren Dingen. Einige entwickeln misanthropische Züge (Misstrauen ggü. Menschen) oder verabscheuen die Dunyā als ein Ort des Leides und der seelischen Folter. Ab dann selektieren sie und suchen unterbewusst nach Gedanken und Strömungen, die diese Auffassung teilen und entwickeln dann aus ihrer emotionalen Störung eine ideologische Neigung.

Lösung des Problems

Wie bei allen psychischen und kognitiven Problemen bedarf es hierbei um individuelle Fall- und Problemanalysen. Der allgemeine Muslim sollte sich einfach dessen bewusst sein, dass er eine grundlegende Distanz ggü. allen Informationen entwickeln sollte. Nichts darf auf der Goldwaage liegen. Jede Auslegung, jede Aussage, jede Information sollte durch den Filter der Abwägung und Untersuchung laufen. Dies ist ein göttlicher Befehl. Überprüft und kontrolliert die Dinge. Ob es die Aussage eines Gelehrten, die Auslegung eines Verses, der Iǧtihād eines Rechtsgelehrten oder andere weltliche Informationen sind: Denkt darüber nach und wägt ab mit der Waage der Vernunft und der Weisheit. 

"O ihr, die ihr glaubt, wenn ein Frevler euch eine Mitteilung bringt, so vergewissert euch, damit ihr nicht anderen Leuten in Unwissenheit ein Unrecht zufügt und daraufhin bereuen müsst, was ihr getan habt." (Sūrah al-Huǧurāt - Vers 6)

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...