Samstag, 8. April 2017

Haben wir den Tawḥīd eigentlich verstanden? #MuslimProblems

Wenn man sich die Niederschriften der damaligen Gelehrten durchliest und sieht, wie sie zu den Menschen geredet haben, fällt eine Sache besonders auf. Sie waren sehr hart und haben oft die Fehler der Menschen hervorgehoben und sie kritisiert und dennoch kamen die Menschen in Massen angeströmt, um sich dies anzuhören. Warum? Das liegt daran, dass Kritik dazu dient, dass man begreift, was noch verbessert werden muss. Die Menschen wollten kritisiert werden, damit sie einen neuen Reiz dafür haben, sich zu bessern. Der Mensch ist blind und unachtsam und nicht selbstkritisch genug und übersieht daher oft eigene Mängel. Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm sagte:

"Der Gläubige ist dem Gläubigen ein Spiegel." (Abū Dāwūd)

Der Muslim macht seinen Bruder auf schönste Art und Weise auf seine Fehler aufmerksam, damit er diese verbessern kann. Und ein Gelehrter macht die gesamte Masse auf die Fehler der Masse aufmerksam, damit zwar keiner persönlich angesprochen wird, aber diejenigen, die sich angesprochen fühlen, dieses Gefühl bekommen, dass sie sich verbessern sollen, wenn sie die Sitzung des Gelehrten verlassen.

Die Gläubigen haben nach Reizen und Motivationen gesucht, um sich selbst zu bessern. Heutzutage wollen die Muslime nur die anderen verbessern. Dieses Problem wurde schon zuvor angesprochen, wo ich darauf aufmerksam machen wollte, dass die Menschen ihre Probleme immer mit ihrem Islam oder Tawḥīd in Verbindung bringen wollen, was vollkommener Unsinn ist.
In diesem Artikel möchte ich jedoch genauer auf den Tawḥīd eingehen und nach der gängigsten Einteilung erklären, was die einzelnen Kategorien bedeuten und was wir Muslime hierbei oft falsch machen. Tawḥīd bedeutet wortwörtlich "Einzigartigkeit bestätigen". Demgemäß wird im Folgenden erklärt, wie wir Allāh als einzig verstehen müssen und in welche Probleme man fallen kann.

Problem #1: Nachlässigkeit gegen Allāhs ʾUlūhiyya

Die erste Kategorie, in die die Gelehrten den Tawḥīd unterteilt haben heißt Tawḥīd al-ʾUlūhiyya. Diese besagt, dass wir Allāh als einzigen anbedungswürdigen ʾIlāh (Gott) annehmen, indem wir zuerst alle Gottheiten verneinen (Taḫliya) und anschließend Allāh als einzigen ʾIlāh bestätigen (Taḥliya). So sagen wir:

1. Lā ʾIlāha
(keine Gottheit) 2. illAllāh (außer Allāh)

Die ʾUlūhiyya von Allāh beinhaltet, dass Ihm alle Gebete, Bittgebete, Aufopferungen, Hingabe und Liebe gebührt. Das Herz wird von allem anderen befreit und gereinigt und Allāh wird der Einzige, auf den sich all dieses richtet.

Hier könnte das erste Erstaunen entstehen, denn es wurde auch Liebe aufgelistet. Heißt das etwa, dass wir andere Dinge außer Allāh nicht lieben dürfen? Doch, wir dürfen andere Dinge lieben, doch einzig und allein im Lichte Allāhs. Was würde denn passieren, wenn wir Personen oder Dinge eigenständig lieben würden neben Allāh? So wie die Gelehrten sagen, kann das Herz nicht die Liebe zu mehreren Dinge gleichzeitig im Herzen tragen. Deswegen enstehen Konflikte zwischen den geliebten Dingen. Wenn wir eine Person lieben, die Allāh nicht liebt und Ihm ungehorsam ist und sich nicht belehren lässt, dann können wir, wenn wir mit dieser Person zusammen sind, entweder die Liebe zu Allāh im Herzen tragen oder die Liebe zu dieser Person. Machen wir nun, was diese Person von uns will oder was Allāh von uns will? Das müssen wir hier fragen, denn hierin kann jeder die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit seiner Liebe zu Allāh überprüfen.

Wer sich also darin findet, wie er aus der Liebe zu dieser Person Allāh ungehorsam wird, der hat gegen die ʾUlūhiyya verstoßen. Das heißt nicht, dass man zu einem Kāfir wurde oder so. Das soll hier keiner aus dem Text entnehmen. Sondern es heißt, dass in diesem Moment der Glaube sehr sehr mangelhaft ist.

Leider haben wir als Muslime die Feinfühligkeit dafür verloren. Oft passiert dieser Mangel bei Beziehungen, die nicht im Lichte Allāhs geführt werden, so wie bereits in diesem Artikel besprochen wurde. Jeder sollte überprüfen, dass er die Menschen und die Dinge für Allāh liebt und dass diese in Seinem Lichte geliebt werden.

Wenn wir Bekannte, Verwandte und Freunde haben, die keine Muslime sind und wir sie dennoch lieben, dann liegt darin kein Problem, wenn man die richtige Einstellung hat. Die Verwandten liebt man in dem Sinne, dass Allāh aufgrund der Blutsverwandtschaft die Liebe in die Herzen gelegt hat und das verstehen wir als eine Liebe im Lichte Allāhs, so wie der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, seinen Onkel Abū Ṭālib geliebt hat, obwohl dieser kein Muslim war.

Darüber hinaus können wir Freunde und Kollegen haben, die keine Muslime sind, aber die wir lieben, weil sie sehr schöne Charaktereigenschaften haben, die islamisch den Muslimen eigentlich anbefohlen sind. So liebt man seinen islamischen Charakter und man würde es lieben, wenn diese Person den Islam annimmt und so pflegt man so eine Freundschaft, die eine Hoffnung in sich trägt, dass man die Person zum Islam führen möge.

Diese Beziehungen sind alle im Lichte Allāhs möglich, wenn wir die richtige Einstellung und Haltung dabei haben. Wenn wir aber sehen, dass bestimmte Beziehung nicht im Lichte Allāhs sind und diese uns offensichtlich in unserer Beziehung zu Allāh einschränken oder sogar schwächen, dann sind solche Beziehungen zu vermeiden bzw. sollten nicht gepflegt werden, außer es sind verbindliche Beziehungen wie die Verwandschaftsbeziehung.

Problem #2: Verstoß gegen Allāhs Rubūbiyya

Die zweite Kategorie nennt sich Tawḥīd ar-Rubūbiyya, bei der wir als Gläubige die Einheit Allāhs darin bestätigen, dass Er die Quelle jeder Macht und Kraft ist. Wir verneinen jede Macht und Kraft (Taḫliya) und sprechen sie einzig Allāh zu (Taḥliya), indem wir sagen:

1. Lā Ḥawla wa lā Quwwata (keine Macht oder Kraft) 2. illā billāh (außer bei/durch Allāh)

Die Rubūbiyya Allāhs beinhaltet, dass jede Wirkung nur durch Allāhs Willen zustande kommt. Die Bewegung der Planeten, der Wechsel von Tag und Nacht, das Wachsen der Pflanzen, die Bewegungen der Tierwelt und alles andere an Bewegungen und Wirkungen, die von der Schöpfung ausgeht, kommen nur dadurch zustande, indem Allāh eine allgemeine Befähigung und Erlaubnis dafür gewährt.

Das erste Problem entsteht hier bei den sogenannten ʿĀdāt (Regelmäßigkeiten). Die ʿĀdāt beschreiben die allgemeine und natürliche Regel einer Sache. Als einfaches Beispiel nehmen wir das Messer. Wenn es geschliffen wird, dann schneidet es. Das Schneiden ist eine Wirkung, die in der Regel davon ausgeht. Wir Menschen richten unser ganzes Leben und unsere Wissenschaften nach dem Regelfall aus. Das ist normal und auch nicht falsch. Doch wir vergessen, dass der Regelfall nicht selbstverständlich ist. So wissen wir, dass in der Geschichte vom Propheten ʾIbrāhīm, Allāhs Friede auf ihm, das Messer nicht geschnitten hat, als ʾIbrāhīm seinen Sohn ʾIsmāʿīl für Allāh aufopfern wollte.

Das Problem liegt nun darin, dass wir aus Gewohnheit den Regeln die jeweilige Kraft und Macht zuschreiben. Wir vergessen, dass jeder Regelfall nur aufgrund Allāhs Willen zustande kommt. Dadurch kann es sein, dass wir den ʿĀdāt zu viel vertrauen und uns zu sehr auf sie verlassen, so dass Allāh plötzlich in den Hintergrund rückt und wir unseren Erfolg und unsere Wirkung nicht mehr von Allāh abhängig machen, sondern von den ʿĀdāt.

Das zweite Problem ensteht bei den sogenannten ʾAsbāb (Mitteln). Die ʾAsbāb sind die vielen logischen Glieder in einer Ursachenkette, die eine Sache zustande bringen. Einfaches Beispiel: Der Arbeiter arbeitet für den Arbeitgeber und dafür bekommt der Arbeiter seinen Lohn. In dieser Kette sind drei Glieder. Arbeiter, Arbeit und Arbeitgeber. Der Arbeiter ist das Mittel (Sabab), weswegen die Arbeit erledigt wird. Und die Arbeit ist das Mittel (Sabab), warum der Arbeitgeber den Lohn auszahlt.

Das ist auch eine Regelmäßigkeit, die für uns ganz selbstverständlich ist. Das Problem was hier aber ensteht ist, dass wir den eigentlichen Verursacher (Musabbib), also unseren Herrn Allāh, den Erhabenen und Gepriesenen, außer acht lassen können. Weil wir daran gewohnt sind, dass der Arbeitgeber das Geld auszahlt, denken wir, dass der Arbeitgeber der Versorger ist. Wobei einzig und allein Allāh Ar-Razzāq, also der Versorger ist.

Wie ist also das Verhältnis zwischen ʾAsbāb (Mittel) und Musabbib (Verursacher) zu verstehen? Da wir hier von Tawḥīd reden, müssen wir hervorheben, worin wir Allāh nun als einzig begreifen müssen. Die Einzigartigkeit hierin liegt darin, dass Er derjenige ist, der sich im Qurʾān mit folgender Eigenschaft beschreibt:

"Und Allāh ist der beste Planschmied." (Sūrah ʾĀli ʿImrān - Vers 54)

Allāh ist Ḫayrul-Mākirīn. Der beste Planschmied. Er ist derjenige, der die ʾAsbāb ordnet und aneinandereiht. Er ist derjenige, der Türen öffnet und schließt. Er ist derjenige, der für jeden einzelnen einen Plan schmiedet und Gelegenheiten schafft und Auswege gewährt. Er hat die Herzen in Seiner Hand und lenkt die Gemüter der Menschen, wie Er möchte.

"Und ihr könnt nur wollen, wenn Allāh will. Wahrlich, Allāh ist Allwissend (ʿAlīm), Allweise (Ḥakīm)." (Sūrah al-ʾInsān - Vers 30)

Wenn wir begreifen und verstehen, dass die ganzen ʾAsbāb in Allāhs Hand liegen und dass die Dinge entsprechend Seiner Bestimmung ihren Lauf nehmen, dann wird letztendlich deutlich, dass nicht irgend ein Arbeitgeber zufriedenzustellen ist, sondern einzig und allein der Herr der Welten, in dessen Hand alles liegt.

So wäre es grauenhaft verkehrt, wenn man denkt, dass man in der Not die verbotenen ʾAsbāb aufsucht, um sein Geld zu verdienen. So wäre es töricht, dass man denkt, man müsse in seinem Laden Alkohol verkaufen, weil es Kundschaft bringt. Es wäre lächerlich, wenn man anfängt, mit verbotenen Dingen Geschäfte zu machen, nur weil man Geld braucht.

Wenn man dies begreift, dann werden alle ʾAsbāb unwichtig. Denn es gibt ein Treibstoff, der alle ʾAsbāb in Bewegung setzt. Dieser Treibstoff nennt sich die Zufreidenheit Allāhs (Riḍallāh)!

Wenn wir uns in unserem Leben danach ausrichten, einzig und allein die Zufriedenheit Allāhs zu erlangen, dann werden wir die ʾAsbāb überwunden haben. Die ʾAsbāb zu überwinden heißt, dass man sie loslässt und sich von ihnen unabhängig macht. Der Gläubige weiß, dass er einzig und allein von Allāh abhängig ist und dass Er der Musabbib ist, der die Dinge regelt und ordnet, wie Er will.

Viele machen den Fehler, dass die die ʾAsbāb erzwingen wollen. Sie klammern sich an den Mitteln und wollen unbedingt, dass sie zustande kommen und setzen alle ihre Kräfte dafür ein. Dadurch versucht man, selber der Musabbib zu sein und dies ist der Mangel, den man im Tawḥīd ar-Rubūbiyya haben kann. Wenn wir versuchen, die Pläne zu schmieden und die ʾAsbāb zu erzwingen, dann werden wir von Kummer und Enttäuschung eingeholt, denn Allāhs Plan setzt sich durch und wenn unser Plan im Weg ist, dann gibt es kein Erbarmen.

Wenn man sich aber Allāh hingibt, dann ist es egal, welche ʾAsbāb nun auftreten und über welche Wege Allāh die Dinge zustande bringt. Man selbst ist nämlich flexibel und frei und schwimmt in der Gunst Allāhs und gibt sich Seiner Bestimmung hin.

Dies zu begreifen ist wahrlich gewaltig. Aber wer es begreift, der hat eine innere Ruhe und Freiheit, die nicht zu beschreiben ist.

Natürlich heißt es nicht, dass wir in unserem Leben nichts planen sollen. Jeder sollte Pläne und Orientierungspunkte haben. Aber dennoch so, dass man bescheiden ist und die Möglichkeit ins Auge fasst, dass die Dinge sich jeder Zeit ändern können. Man muss flexibel sein und Allāhs Fügungen akzeptieren, wenn sie nun einmal so ausgerichtet sind, dass unsere früheren Pläne nicht mehr umgesetzt werden können.

Problem #3: Die Unwissenheit gegenüber Allāhs Namen und Eigenschaften

Die dritte Kategorie des Tawḥīds ist Tawḥīd al-ʾAsmāʾ waṣ-Ṣifāt. Der Tawḥīd der Namen und der Eigenschaften Allāhs.

Hierin liegt das größte Problem darin, dass die meisten Muslime gar nicht wissen, wer und wie Allāh wirklich ist. Es ist essentiell für unsere Gebete und Gottesdienste, dass wir Allāh kennen. Wir müssen logischerweise wissen, wen wir überhaupt anbeten und wem wir dienen.

Wer Allāh nicht kennt, der kann Ihn nicht richtig einschätzen und daher auch keine vollständige Hingabe, Liebe und Ehrfurcht Ihm gegenüber empfinden. Daher müssen wir wissen, wie Allāh ist, indem wir Sein Buch lesen und schauen, wie Er sich selbst beschrieben hat.

"Sprich: 'Bittet Allāh oder bittet den Allerbarmer (Ar-Raḥmān) - bei welchem (Namen) Ihr (auch) bittet, Ihm stehen die Schönsten Namen zu.' " (Sūrah al-ʾIsrāʾ - Vers 110)

"Er ist Allāh, außer Dem es keinen Gott gibt; Er ist der Kenner des Verborgenen und des Sichtbaren (ʿĀlim al-Ġayb waš-Šahād). 
Er ist der Allerbarmer (Ar-Raḥmān), 
der Barmherzige (Ar-Raḥīm). 
Er ist Allāh, außer Dem es keinen Gott gibt; 
Er ist der Herrscher (Al-Malik), 
der Einzig Heilige (Al-Quddūs), 
der Friede (As-Salām), 
der Verleiher von Sicherheit (Al-Muʾmin), 
der Überwacher (Al-Muhaymin), 
der Allmächtige (Al-ʿAzīz), 
der Unterwerfer (Al-Ǧabbār), 
der Erhabene (Al-Mutakabbir). 
Gepriesen sei Allāh über all das, was sie (Ihm) beigesellen.
Er ist Allāh, der Schöpfer (Al-Ḫāliq), 
der Bildner (Al-Bāriʾ), 
der Gestalter (Al-Muṣawwir). 
Ihm stehen die Schönsten Namen zu. 
Alles, was in den Himmeln und auf Erden ist, preist Ihn, und Er ist 
der Erhabene (Al-ʿAzīz), 
der Allweise (Al-Ḥakīm)."
(Sūrah al-Ḥašr - Verse 22-24)

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...