Freitag, 20. Juli 2018

Bin ich nur ein Muslim? Die Frage nach der Identität.

Schon in einigen früheren Beiträgen habe ich das Problem der Identitätssuche von Muslimen besprochen.  In diesem Beitrag möchte ich kurz ergänzen, zwischen welchen zwei Problemen bzw. Extremen sich diese Identitätssuche abspielt.

Grundsätzlich ist es für den Muslim ausreichend, dass er sich seiner Person als Muslim bewusst wird. Denn wenn ein Mensch sich als Muslim wahrnimmt und den Glauben mit Überzeugung annimmt, dann folgt darauf eigentlich auch die Anpassung seines Lebens entsprechend der normativen Vorgaben und Erwartungen, die uns von Allāh und seinem Gesandten erreicht haben.
Der Muslim hat durch das bloße Konzept des Islams genug Aufgaben und Verantwortungen, die ihn dabei unterstützen, eine funktionierende und vollständige Identität zu bilden. Es beginnt mit dem Einhalten der Gebote und Verbote und geht hin zu der Verfeinerung des Charakters und der intensiven Bemühung um die Besserung der Umwelt und der Mitmenschen.
Die Vorbilder und Ideale, die in den früheren und späteren Büchern festgehalten wurden, sind zahlreich und ausreichend, um genug Leitfäden zu besitzen, die man bei der Schulung seiner eigenen Persönlichkeit nutzen könnte.

Wäre da nicht dieser Kontrast...

Das Problem entsteht nämlich genau dann, wenn ein Muslim bemerkt, dass er mit seiner Ambition und Motivation hervorsticht und die breite Masse der Muslime anscheinend gar nicht so interessiert ist, die Religion mehr oder weniger authentisch und intensiv zu praktizieren. Genau das passiert sehr vielen jungen Muslimen, die durch Allāhs Gnade und Rechtleitung motiviert mit dem Praktizieren der Religion anfangen und beim Aufblühen die Unterstützung und Bestätigung von anderen ersuchen. Denn jeder, der dabei ist, eine Identität zu entwickeln, möchte bei jedem Schritt, rein pädagogisch gesehen, bestätigt werden, um bei diesem unsicheren Schritt bestätigt zu werden und dadurch Sicherheit zu empfinden.
Die Muslime als breite Masse wirkt für die meisten praktizierenden Muslime jedoch sehr schwammig und qualitativ dünn und diese Masse reicht daher irgendwie nicht, um diese Bestätigung von sich zu geben. Denn die gesamte Masse lässt nicht von sich spüren, dass die Motivation für die Religion etwas gutes sei. Dies führt dann dazu, dass diese jungen Muslime nun Gleichgesinnte suchen, die ebenfalls durch intensivere Bemühungen hervorstechen.

Und hier beginnt dann das erste Problem der Identitätssuche. Statt nur Muslim zu bleiben, entwickeln die Muslime kleinere elitäre Kreise, die sich von der allgemeinen Masse der Muslime abgrenzen möchten. Sie sehen sich zwar als Muslime, aber möchten schon irgendwo etwas anderes sein, weil sie ja angeblich authentischer und wahrhaftiger sind. Diese Abgrenzung kann bei vielen extremistischen Gruppen beobachtet werden. Sie benutzen oft andere Label für sich, denn nur Muslim zu sein ist leider nicht mehr ausreichend für viele.

Wenn man nur Muslim wäre, dann wäre man ja ein Teil dieser qualitativ schwachen Restmenge von Muslimen. Das geht nicht. Man möchte ja etwas besonderes sein. Schließlich ist der Islam die Wahrheit und das muss sich auch daher besonders anfühlen.

Exklusivierung bzw. die Entstehung von elitären Randgruppen ist eine Folge der qualitativen Schwäche der allgemeinen Menge der Muslime. Wenn die Muslime also Kritik ausüben möchten, dass sich junge Leute abgezweigt haben, dann muss ihre Kritik auch beinhalten, dass die allgemeine Menge der Muslime klar und deutlich versagt hat. 

Diese qualitative Wässrigkeit der Muslime führt dazu, dass die Muslime, die ihre Religion ernst nehmen möchten, in ihrem Aufenthalt in dieser dünnflüssigen Menge nicht die richtige und notwendige Festigkeit verspüren und daher abgrenzende Haltungen einnehmen. Auf der anderen Seite werden die neueren Generationen so schwach mit der Religion vertraut gemacht, dass die meisten gar nicht erst versuchen, eine Identität auf diesem schwachen Fundament aufzubauen und stattdessen außerhalb des Islams nach einer Fülle ihrer Identität suchen. Und dies können wir genau beobachten, wenn wir sehen, dass Jugendliche aus muslimischen Familien mehrheitlich zu Idolen aus der Musik (insbesondere aus der Gangster-Rap-Szene), aus dem Sport oder aus anderen Bereichen greifen. Oder sie kommen in den Zustand der angeblichen Perspektivlosigkeit und neigen zu Drogenkonsum und anderem maßlosen Konsumverhalten.

Es ist somit egal, ob wir irgendwelche super-authentischen Muslime haben, die den Rest der Muslime als Irregegangene/Erneuerer betrachten oder irgendwelche "Kanacken" mit zerrissenen Hosen und neuartigen Trendfrisuren, die sich irgendwelche Gangster-Rapper reinziehen und die Nächte in den Shishabars oder Wettbüros verbringen. Beide Ausprägungen sind Ergebnisse von gescheiterter Identitätsbildung. Und an diesen Ergebnissen sind alle Muslime schuld. Als Gesamtheit tragen wir die Schuld dafür, dass wir nicht ausreichend dafür machen, um das Identitätsgefühl, welches ein Muslim als solcher empfinden sollte, zu stärken.

Die Individuen machen die Gesamtheit aus. Jeder muss seinen Beitrag leisten, um die Gesamtqualität der Muslime als Menge zu steigern. Jeder muss etwas dafür leisten. Und der Anfang liegt darin, dass wir aufhören so egoistisch zu sein und die Bereitschaft entwickeln, unsere eigene Kraft und Zeit für den Islam aufzuopfern.

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...