Donnerstag, 18. Mai 2017

Manhaǧ der Salaf oder doch nur Parteilichkeit? #MuslimProblems

Oft hören wir von unterschiedlichen Richtungen, dass sie angeblich dem Manhaǧ (Methode) der Salaf folgen würden. Die Salaf sind die rechtschaffenen Vorfahren, womit die drei Generationen nach dem Propheten Muḥammad, Allāhs Segen und Frieden auf ihm, gemeint sind. Dabei brüstet man sich mit Sprüchen wie "Wir folgen Qurʾān und Sunnah auf dem authentischen Weg der Salaf!" oder andere Floskeln, mit denen man zum Ausdruck bringen möchte, wie authentisch man doch sei.

Wie man anhand meiner Formulierung schon bereits erkennen kann, soll es bei diesem Artikel um eine Problemanalyse gehen. Das Problem nennt sich Trugschluss über die Auffassung, was unter Salaf und ihrem Manhaǧ zu verstehen ist.

Zuerst möchte ich die einzelnen Blickweisen darstellen und erklären, welche Probleme in jeder dieser Blickweisen liegen:

1. Die Rechtschulen: Einige verstehen unter den Salaf die Auffassungen der Rechtschulen bzw. ihrer Gründer.

Problem: Das Problem hierbei ist, dass es unmöglich ist, bei dieser Auffassung den Salaf insgesamt zu folgen. Jede Rechtschule hat zwar einen Gründer, jedoch unterscheidet sich schon die Auffassung eines Gründers über ein Thema im Laufe seines Lebens. Dann gibt es noch das Problem, dass viele Meinungen und Urteile, die uns heute im Namen einer Rechtschule erreichen, von Gelehrten formuliert wurden, die zwar dieser Rechtschule angehört haben, aber sehr viel später gelebt haben.

Mögliche Reaktion: "Aber das meinen wir doch gar nicht. Wir meinen, dass wir der Methode der Salaf folgen, das heißt, worin sich die Rechtschulen einig waren und ihre Fundamente in ihrem Verständnis."

Antwort: Auch darin gibt es sehr viele Unterschiede und Entwicklungen, die in der Zeit der jeweiligen Gelehrten als auch nach ihnen stattgefunden haben. Es gibt also, wenn es um die Rechtschulen geht, keine einheitliche Methode, bei der man behaupten könnte, dass man ihr folgt.

Schluss: Wenn jemand behauptet, dass er den Salaf folgt und damit die Rechtschulen meint, dann ist diese Haltung sehr leichtsinnig und zeugt von Unkenntnis. Wenn man die arabische Sprache beherrscht und sich in die jeweiligen historischen Entwicklungen der Rechtschulen einliest, wird man erkennen, dass man hier keine gemeinsame Methode finden kann und somit auch nicht behaupten kann, dass man DEM "Manhaǧ" der Salaf folgt.

2. Eine Gesinnung: Einige verstehen unter den Salaf dann wiederum eine Gesinnung (Denkweise), die man bei einer Gruppe gelobter und vorzüglicher Gelehrte unter diesen drei Generationen findet.

Problem: Hierbei liegt das Problem schon in der Auffassung. Denn man sucht sich quasi eine gewisse Gesinnung raus und sondert diese von allen anderen ab, die nicht so denken. Dabei schließt man somit alle anderen von den Salaf aus und macht eine exklusive Auswahl, wodurch man aber nicht mehr sagen kann, dass es sich hier um DEN Manhaǧ der Salaf handelt, weil man ja nur einen Manhaǧ von vielen und einige Gelehrte von vielen rausgesucht hat.

Erscheinungsbild in der heutigen Zeit:
Einige dieser Gruppen sind zu vergleichen mit kleinen Kindergartenkindern, denn das ist ihr Niveau in der Vernunft. Da sie idealisiert denken, also eine gewisse Denkweise exklusiv hervorheben, dulden sie nicht, dass man andere Gelehrte von den drei Salaf-Generationen befolgt bzw. von ihrem Wissen profitiert. Genau wie Kindergartenkinder, wenn ihr Spielkamerad im Sandkasten mit jemand anderen spielt, kehren sie den Personen, die von anderen Gelehrten profitieren, den Rücken, weil diese Gelehrten nicht in ihre idealisierte Weltauffassung hineinpassen.

Mögliche Reaktion: "Was für eine Unverschämtheit. Wisst ihr denn nicht, dass es unter den Salaf auch Gelehrte gab, die sich gegenseitig aufgrund ihrer Fehler boykottiert haben. Wollt ihr sagen, dass sie so unvernünftig wie Kindergartenkinder sind?!"

Antwort: Wir fragen dann, ob es eine allgemeine Praxis war, dass man sich boykottiert hat. Wenn wir die Meinungen der Salaf selbst betrachten, so gibt es zum Thema Boykott sehr unterschiedliche Auffassungen. Wenn wir aber die Lebenspraxis der Salaf ansehen, dann war der Boykott eine Sache, die relativ spät angewendet wurde, wenn jede Belehrung und Zurechtweisung nutzlos schien. Darüber hinaus gab es sicher auch Gelehrte, die schnell verurteilt haben und vielleicht den Rücken gekehrt haben, ohne tief nachzudenken. Aber gelobt sei Allāh, der uns vernünftig gemacht hat und uns wissen ließ, dass Gelehrte nicht heilig sind. Wir nehmen und lassen. Was vorzüglich ist, das nehmen wir und wenn wir sehen, dass sie mal affektiv waren und unvorsichtig geurteilt haben, so lassen wir es. Insbesondere wenn es um die Beurteilung von Zeitgenossen geht.

Schluss: Wenn eine Gruppe also eine exklusive Denkweise herausarbeitet und sie als "den Manhaǧ der Salaf" betitelt, so weisen wir dies deutlich als Fehler und törichtes Verhalten ab. Denn es gleicht nichts anderem außer leichtsinniger Parteilichkeit gewissen Gelehrten gegenüber. Dies öffnet die Türen zur Verheiligung und zu falschen Maßstäben, indem man anhand der Haltung einer Person gegenüber bestimmten Gelehrten ermisst, ob man dieser Person positiv oder negativ gegenübersteht.

3. Symbolismus: Unter Symbolismus fasse ich die Einstellung, bei der man oberflächliche Erkennungsmerkmale bzw. Symbole herausarbeitet und sie als den Manhaǧ der Salaf betitelt.

Problem und Erscheinungsbild: Es gibt keine Symbole, an der die "Salafhaftigkeit" der Salaf hevorgearbeitet werden kann. Das Problem bei dieser Denkweise ist, dass der Symbolismus immer als Folgeerscheinung nach einem Lebenswandel kommt. Der eine junge Muslim, der frisch angefangen hat, den Islam zu praktizieren, sucht nun einen Weg, sich symbolisch auszudrücken. Er fängt an, sich arabische Gewänder anzuziehen und wirft sich ein rot-weißes Tuch auf den Kopf, weil er seit einigen Monaten den "wahren Islam" gefunden hat, indem er deutsche Prediger hört, die ihm einiges über das richtige Verständnis vom Islam beigebracht haben, bei dem es keine Neuerungen und Falschheiten gibt. Weil aber alle in diesem Milieu sich gerne so kleiden, denkt dieser junge Grünschnabel, dass eine Verbindung zwischen seiner reinen Lebenspraxis und der Symbolik besteht, mit der sich die Anhänger des "reinen Islams" kennzeichnen.

Schluss: Auch hier liegt das Problem in der Auffassung und der Kenntnis. Die fehlende Kenntnis über die tatsächlichen Umstände, führt zu einer verzerrten Auffassung. Der Islam, den ein motivierter Jugendlicher nun lernen möchte, ist ihm aufgrund seiner fehlenden Sprachkenntnisse nicht gänzlich zugänglich. In seinem Eifer sucht er nach Wissen und findet Prediger. Statt aber ihre Worte als Worte aufzufassen und aus diesen inhaltlich zu lernen, macht er den gewaltigen Fehler, nicht nur die Worte, sondern auch ein ganzes Szenario aufzusaugen und es nun in seinem Leben umzusetzen. 
Hinzu kommt ein eingeschränkter Blick, weil das Wissen in diesem Milieu oft einseitig kommt und keine Möglichkeit besteht, die Pluralität der Salaf zu erfassen. Daher wird ein enger einseitiger Strang an Informationen angenommen und als die einzige richtige Art und Weise der Salaf verstanden.

Da nun die ganzen Probleme dargestellt wurden, ist es wichtig, dass wir einen Weg der Mitte zeichnen, den man annehmen oder auch lassen kann. Jeder sollte sich dessen bewusst sein, dass die Wahrheit nicht in einen Käfig passt. Das heißt, dass die Wahrheit frei ist und nicht von irgendwelchen Gruppen oder exklusiven Gedankengängen eingeschränkt werden kann. Wer nur blind folgt, der sperrt den Vogel der Wahrheit in einen Käfig und wird sie nie in vollem Umfang erleben können.

Ein Versuch zur Darstellung eines goldenen Mittelwegs


Das Wissen ist da, für den, der mit offenem Herzen strebt. Der Herr der Welten, unser geliebter Herr, der Allgnädige (Al-Ġafūr) sagt im Qurʾān:

"Wahrlich, hierin liegt eine Ermahnung für denjenigen, der ein Herz hat oder bei voller Aufmerksamkeit zuhört." (Sūrah Qāf - Vers 37)

Wer sein Herz im Vorhinein in Ketten legt und seine Ohren mit Siegeln versiegelt, die nur das durchlassen, was man im Vorhinein bestimmt hat, der wird nur ein Schaf in einer Herde sein und sich dem ersten Hirten anschließen, der ihn fängt. 

Wem es aber um die Wahrheit geht, der wird sein Herz für die Wahrheit öffnen und seine Ohren nicht abwenden, wenn sie zu ihm kommt.

Daher sagen wir: Die Salaf waren keine Schafe. Sie haben alle individuell nachgedacht und sich angestrengt, um Allāhs Wohlgefallen zu erlangen. Es sind viele Irrwege entstanden und viele Leute sind unter diesem Versuch der Freiheit daran gescheitert. Jetzt könnte man einwenden und sagen, dass doch genau diese Fälle die perfekten Beispiele sind, um nicht frei zu sein und stattdessen ein Schaf zu sein, was sich in einer gemütlichen Höhle der Unwissenheit versteckt. Aber nein! All diese Beispiele von Menschen, die in die Irre gingen, sind ausreichend und zahlreich, damit wir wissen, in welchen Richtungen es gefährlich werden kann. Doch es hält uns nicht davon ab, die Vorzüge und das Wissen von Personen anzunehmen, die in Kritik geraten sind. Denn wer kritisiert wird, ist nicht direkt ein Irregegangener, wie heutzutage einige Personen, in deren Herzen Krankheit ist, behaupten.

Wir nehmen das Wissen, was löblich ist und lassen uns nicht auf zweifelhafte Sachen ein. Wir verschließen unsere Türen nicht, wenn das Wissen kommt und wir untersuchen es, damit wir von jedem Gelehrten, der als ein solcher anerkannt wurde und nach unseren Maßstäben der Wahrheitssuche nicht in absolut falsche Bahnen gekommen ist, lernen und uns von seinem Wissen belehren lassen können.

Denn die Salaf lernten voneinander. Das Wissen kam und wurde ausgelegt und gelernt. Und das ist der wahre Manhaǧ. Das Streben nach der Wahrheit, die Allāh für uns in allgemeiner Form, sein Gesandter in praktischer Form und seine Gefährten in spezifischer Form dargelegt haben.

Wer uns dies verbieten will, schreit aus seiner dunklen Höhle hinauf in das Licht, um uns davon abzuhalten, die uneingeschränkte und von Ideologien und Ignoranz befreite Wahrheit zu erlangen, nur weil es außerhalb der Höhle gefährlich sein kann.

Doch wer mit Allāh, dem Bewahrer (Al-Ḥafīẓ), auf dem Weg der Wahrheit schreitet und im Herzen und im Geiste frei ist, der hat keine Gefahren zu befürchten.

"Wahrlich, mein Herr ist Hüter über alle Dinge." (Sūrah Hūd - Vers 57)



Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...