Freitag, 5. August 2016

Bist du enttäuscht?


Was bedeutet es, enttäuscht zu werden?

Enttäuschung bedeutet, dass man etwas erwartet und dies nicht in Erfüllung geht. Manche haben sehr hohe Erwartungen an das Leben und daher erleben sie auch oft sehr große Enttäuschungen. Andere haben sich einen festen Lebensweg gezeichnet und sind oft enttäuscht, wenn ihr Leben nicht nach Plan läuft.


Andere sind über Menschen enttäuscht, von denen sie bestimmte Verhaltensweisen nicht erwartet hätten. Und die schlimmste Form der Enttäuschung ist, wenn jemand von Allāh enttäuscht ist. 

Man wird sich wundern und fragen, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass jemand von Allāh, dem Erhabenen (Al-ʿAẓīm) enttäuscht sein kann? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand. Man muss etwas von Ihm erwarten, was Er nicht erfüllt hat. Warum erwartet man so etwas? Und was macht man dabei falsch? Damit müssen wir uns genauer auseinandersetzen.

Die grundlegende Prämisse (Annahme) bzw. Überzeugung für uns als Muslime ist, dass unser Herr frei von Fehlern und Unvollkommenheit ist. 


Der erhabene Herr spricht im Qurʾān:


"Sprich: 'Er ist Allāh, der Einzige - Allāh, der Absolute (As-Ṣamad)' " (Sūrah al-ʾIḫlāṣ - Verse 1-2) 


Daraus folgt, dass Er nichts Falsches macht. Wenn Er also etwas zulässt, was man nicht von Ihm erwartet, dann ist die Schuld erstmal ganz sicher nicht bei Ihm. Problem ist jedoch unsere Vorstellung von dem, was gut und was schlecht ist. Wir füllen bestimmte Ereignisse mit unserer individuellen Wahrnehmung und unseren Bewertungen, so dass wir festlegen wollen, was gut und was schlecht ist. Doch der Mensch ist prinzipiell beschränkt und nicht in der Lage, solche Werte absolut zu ermitteln. Sogar wenn man mit Vernunft so nah wie möglich an die absoluten Werte herankommen möchte, so muss man dabei immer noch Platz für genug Demut und Bescheidenheit freilassen, durch die man sich bewusst werden muss, dass man nie mit Gewissheit die richtige Wertvorstellung getroffen hat.

Der Allmächtige (Al-Qādir) sagt im Qurʾān:
"Sprich: 'O Allāh, Besitzer des Königtums, Du gibst Herrschaft, wem Du willst und Du nimmst die Herrschaft, wem Du willst. Du ehrst, wen Du willst und Du erniedrigst, wen Du willst. Von deiner Hand kommt das Gute. Wahrlich, du bist über alle Dinge bestimmend.' " (Sūrah ʾĀli ʿImrān - Vers 26)

Allāh unser erhabener Herr legt hier fest, dass sein Handeln stets das Gute ist. Er definiert und füllt somit seine Bestimmungen als das Gute. Dies zu akzeptieren bedeutet für uns, einzusehen, dass Allāhs festgelegte Werte die eigentlichen Werte sind und nicht unsere subjektiven Wahrnehmungen. Seine Werte sind somit die absoluten. 

Warum erwartet man also etwas von Allāh, was er nicht erfüllt? Weil man offensichtlich unwissend darüber ist, dass man Allāh in der Untersuchung von gut und schlecht nicht unter ein Wertsystem einordnen kann. Vielmehr steht Er, der Allumfassende (Al-Wāsiʿ) über allen Maßstäben und sein Wille definiert alle Maße.

Wer also von Allāh enttäuscht ist, hat sich selbst unwissentlich vergöttert, indem er davon ausging, dass er genauer als Allāh weiß, was gut und schlecht ist. Wenn man im Vorhinein Allāhs Bestimmungen als die vollkommensten ansieht, der hat niemals diesen Raum für falsche Erwartungen und Enttäuschungen.

Diesen Fehler machen wir dennoch mehr oder weniger in einer anderen Form. Es geht dabei darum, dass wir für uns selbst Dinge wünschen, die wir unbedingt erzwingen wollen und die wir für uns als das Notwendige oder das Gute ansehen. (Beispiel: Erfolg in einer Klausur, eine bestimmte Arbeitsstelle, die man sich wünscht, ein bestimmter Gegenstand, eine bestimmte Person, die man heiraten will, eine bestimmte Reise usw.) Das sind alles schöne und gute Dinge. Objektiv betrachtet sind sie nicht mit Werten gefüllt. Sie können also für unsere persönliche Entwicklung gut oder schlecht sein. Dies können wir im Vorhinein erstmal nicht wissen.

Es gibt eine sehr einfache Regel, die wir als Muslime beachten müssen, wenn es um neutrale Dinge geht, die gut als auch schlecht sein können. Keiner von uns darf sich anmaßen, solche Dinge als absolut gut oder schlecht zu definieren. Denn wir würden uns etwas erlauben, was nicht in unserer Hand liegt und was nicht mit unserem beschränkten Wissen erfasst werden kann. Wir wissen nicht, wie sich solche Dinge auf unsere Zukunft und auf unsere Bestimmung im Jenseits auswirken können. Deshalb dürfen wir solche Dinge auch nicht als absolut notwendige Dinge erwarten. Wenn wir dies nicht tun, ersparen wir uns eine Menge Enttäuschungen.

Wir müssen immer in Betracht ziehen, dass Allāh uns von den schlechten Mitteln entfernen und zu den guten Mitteln führen wird, wenn wir immer mit dieser Einstellung auf die neutralen Ziele zulaufen. Wenn unser Herz offen ist für jedes Ergebnis, dann werden wir mit jedem Ausgang zufrieden sein, mit dem Wissen, dass unser Herr uns die bessere der vielen Optionen geben wird. 

Letztendlich machen wir auch das Istiḫāra Gebet, bei dem wir Allāh eine Sache überlassen. Wir gestehen uns dabei ein, dass wir nichts wissen und über nichts gebieten und dass Allāh über alles Bescheid weiß und alles seiner Bestimmung unterliegt. Wir öffnen unser Herz für jeden Ausgang, da wir wissen, dass Allāh der Bestimmer des Guten ist und jeder Ausgang, zu dem er uns führt, gewiss das Gute ist.

Auch bei diesem Thema sehen wir bei den Propheten schöne Beispiele, die uns unser Herr im Qurʾān erzählt:

"Und er (Mūsā) sagte: 'O Herr. Ich bin bedürftig über das, was du mir an Gutem senden mögest.' " (Sūrah al-Qaṣaṣ - Vers 24)

"Und gedenke Ayyūb, als er zu seinem Herrn rief: 'Mich hat wahrlich Unheil erreicht, und Du bist der Barmherzigste aller Barmherzigen.' " (Sūrah al-ʾAnbiyāʾ - Vers 83)

Wir sehen hier zwei Beispiele für etwas, was die Gelehrten als die Schamhaftigkeit der Propheten bezeichnen. Es handelt sich hierbei um eine Scham, etwas von Allāh zu erbitten, aufgrund der Angst, dass sie etwas verlangen könnten, von dem sie denken, dass es gut für sie sei, aber Allāh dies in seinem Allwissen als etwas schlechtes für sie weiß. Daher entziehen sie sich der konkreten Wünsche und wünschen nur das Gute im Allgemeinen, so dass sie sich sicher sein können, dass sie keine konkreten Erwartungen haben und somit auch nicht enttäuscht werden können, weil sie wissen, dass alles, was auf diese Haltung folgt, das Gute von ihrem Herrn ist.

So lasst uns sprechen:

"Unser Herr! Gib uns in dieser Welt Gutes und im Jenseits Gutes und verschone uns vor der Strafe des Feuers!" (Sūrah al-Baqara - Vers 201)

(Rabbanā ʾātinā fid-dunyā ḥasanah - wa fil-ʾāḫirati hasanah - wa qinā aḏāb an-nār)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Das Problem bei den Meinungsverschiedenheiten im Fiqh

Kamāl ad-Dīn al-Udfuwī¹ (gest. 747 n.H.): „Bei den umstrittenen Rechtsfragen (masāʾil al-ḫilāf), zu denen kein spezifischer und definitiver ...