Sonntag, 14. Januar 2018

Prinzipien der Unabhängigkeit - Anleitung für ein glückliches Leben

(Diesen Artikel findet ihr auch als Vortrag auf YouTube)

Wie in dem Artikel vom November schon besprochen wurde, spielt der Gedanke der Unabhängigkeit von den Geschöpfen eine wichtige Rolle, um eine intensive Beziehung zu unserem Schöpfer herzustellen. Das Konzept der Unabhängigkeit fällt unter die Kategorie des Vertrauens auf Allāh (at-Tawakkul ʿala-llāh) und bedarf einer ausführlichen Erklärung, da at-Tawakkul in der gängigen Literatur und den Unterrichten zu oberflächlich besprochen wird und viele gar nicht wissen, dass der Diener gewisse Prinzipien (bzw. Regeln) einhalten muss, um wirklich sein Vertrauen auf Allāh zu beweisen und auch die Ruhe und die Resultate zu erlangen, die darauf folgen, dass man das Vertrauen auf Allāh richtig verwirklicht hat. In diesem Artikel möchte ich die Grundgedanken und Prinzipien verständlich ausführen und hoffe von Allāh, dass ich mit meinen Untersuchungen und Interpretationen das Rechte getroffen habe und bitte Ihn darum, dass Er dieses Konzept in der Anwendung segnen soll, damit seine Funktionalität für den Gläubigen ersichtlich wird und es die Herzen somit Allāh näher bringt.

Die Grundgedanken


Die Grundgedanken sind wie das Fundament, die die Prinzipien antreiben und erst richtig sinnvoll machen.

1. Das Vertrauen auf Allāh (at-Tawakkul ʿala-llāh)


Ibn ʿAbbās überliefert vom Propheten, Friede und Segen auf ihm, dass er sagte: „70.000 von meiner Umma werden das Paradies ohne Abrechnung betreten; es sind solche, die nicht nach Ruqya fragen oder an Omen glauben oder Brenneisen [eine Form von Wahrsagerei] verwenden und die sich auf ihren Herrn verlassen.“ [Bei Buḫārī und Muslim überliefert]

Es wird von vielen Gelehrten wie Imām Aḥmad, Qāḍī ʿIyāḍ, Ibn Taymiyya und vielen anderen überliefert, dass sie das Erfragen von Ruqyā als einen Mangel von at-Tawakkul angesehen haben.

Ibn Taymiyya sagte: "Dass sie nicht nach Ruqya fragen bedeutet, dass sie es nicht von anderen erbitten. Ruqya gehört zur Kategorie von Bittgebeten und es wird daher von niemanden verlangt."

Das bedeutet, dass Ruqya eine Form von Bittgebet ist, bei dem man Allāh um Heilung bittet. Allgemeiner betrachtet ist es somit ein Mangel von Tawakkul, dass man andere um die Erledigung einer Sache bittet, die man eigentlich direkt an Allāh richten müsste. Daher ist das Verlangen von Ruqya oder das Verlangen von Bittgebeten von anderen eine Form von Mangel an Tawakkul. [Ausnahme bei Bittgebeten ist, dass man diejenigen um Bittgebete bitten kann, die eine besondere Stellung im Bittgebet haben, wie dem Pilgerer, der auf den ʿArafa-Berg steigt oder das Bittgebet des Reisenden und dergleichen.]

Der Gedanke hierbei ist, dass der Diener auf die Wirkung seines Bittgebetes oder seiner Ruqya vertrauen muss. Er muss davon ausgehen, dass Allāh sein Bittgebet garantiert hört und ihn nicht einfach ignoriert oder dergleichen. Daher muss der Diener Zuversicht in seine eigene Beziehung zu Allāh entwickeln.

2.  Die Genügsamkeit mit Allāh (al-Iktifāʾ billāh)


Allāh, der Erhabene und Majestätische, spricht in seinem Buch:

"Ist Allāh Seinem Diener nicht genug?" (Sūrah az-Zumar - Vers 36)

"O Gesandter, Allāh reicht dir und denjenigen von den Gläubigen, die dir folgen." (Sūrah al-Anfāl - Vers 64)

"Allāh wird dir ihnen gegenüber genügen." (Sūrah al-Baqara - Vers 137)

Der zweite Grundgedanke baut auf solcherlei Verse und Aussagen auf, bei denen verdeutlicht wird, dass Allāh dem Diener ausreichend ist und der Diener nichts außer Ihm benötigt. Man könnte erwidern, dass der Mensch ja zum Überleben gewissen Dinge benötigt. Jedoch sind diese Dinge sogenannte Mittel (Asbāb), die von Allāh zur Verfügung gestellt werden.

Wenn der Diener diesem Verhältnis bewusst wird, richtet sich der Fokus nicht auf die Mittel selbst, sondern auf Allāh, der die Mittel zur Verfügung stellt und bemisst. Begreift man also, dass man nur Allāh benötigt, wird man kein Gefühl von Unzufriedenheit mit der Dunyā entwickeln können. Denn Unzufriedenheit kommt durch Verlangen, welches nicht gestillt wird. Wenn man sein Verlangen nur auf Allāh richtet, hat man alles, was man benötigt. Erzeugt man aber aus seinem Nafs (Ego) heraus weitere Wünsche und Verlangen, erzeugt man damit auch automatisch die Gefahr auf Unzufriedenheit.

3. Die Unabhängigkeit durch Allāh (al-Istiġnāʾ billāh)


ʿAbdurraḥmān ibn ʿAwf überliefert vom Propheten, Allāhs Friede und Segen auf ihm, dass er sagte: 

Drei (Dinge) schwöre ich bei dem, in dessen Hand die Seele von Muḥammad ist und dafür stehe ich fest: 
(1.) Das Vermögen von dem, was ihr an Spenden spendet nimmt nicht ab. 
(2.) Keiner verzeiht einer Ungerechtigkeit mit dem Verlangen nach dem Angesicht Allāhs, außer dass Allāh ihn dadurch erhöht. 
(Anderer Wortlaut) …außer dass Allāh seine Ehre am Jüngsten Tag vermehrt. 
(3.) Kein Diener macht die Tür der Fragerei auf, außer dass Allāh die Tür der Armut für ihn öffnet.“ [Überliefert bei Musnad Aḥmad]

Der dritte Punkt in dieser Überlieferung beinhaltet den Grundgedanken. Die Fragerei bedeutet, dass man unnötige Dinge erfragt oder Menschen mit ständigen Fragen belästigt. Sinnvolle Fragen sind davon nicht betroffen. Es geht hierbei eher um die Einstellung. Wenn der Diener sich ständig abhängig macht von den Menschen, indem er bei all seinen Bedürfnissen zu ihnen geht, verliert er die Fähigkeit, eigenständig zu streben. Er macht sich automatisch abhängig von den Menschen, indem er es sich zur Gewohnheit macht, bei all seinen Fragen, Wünschen und Verlangen zu den Menschen zu gehen, statt innezuhalten und zu schauen, ob er nicht einen eigenen Weg zur Lösung seiner Probleme finden kann. Dieses Fehlverhalten kann letztendlich zur Lähmung und Unfähigkeit führen und im Endeffekt zur Aufgabe des eigenen Antriebs und der eigenen Identität. Man wird somit zum Sklaven und unterwirft sich den Geschöpfen.

Allāh, Erhaben ist Er und vollkommen ist Seine Huld und Gnade, hat nicht den Wunsch, dass wir abhängig von Seinen Geschöpfen werden. Vielmehr möchte Er, dass wir die einzig wahre und tatsächliche Abhängigkeit, also die Abhängigkeit zu Ihm, begreifen. Deshalb zielt dieser Grundgedanke darauf hin, durch das Bewusstsein über diese Abhängigkeit zu Allāh, die Abhängigkeit zu den Geschöpfen zu verlieren und somit Unabhängig durch Allāh zu werden.

Die Prinzipien


Die Prinzipien sind konkrete Anweisungen oder Regeln, die der Diener einhalten und berücksichtigen muss, um auf der Grundlage dieser Grundgedanken ein richtiges Verständnis und einen richtigen Maßstab zu entwickeln. Jedes Prinzip hat eine Prämisse (Annahme), die sich der Diener vor Augen behalten muss. Viele der Prinzipien sind auch in der Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, zu finden. Die Ereignisse sollen hier kurz erwähnt werden.

1. Die Fragerei meiden


Anschließend an die oben erwähnte Überlieferung muss dieses Prinzip nun ausgeführt werden. Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, berichtet uns, dass Allāh die Tür der Armut für einen Diener aufmacht, wenn er sich durch seine unnötige Fragerei den Menschen unterwirft. Wenn man die Rechnung aber umdreht, hieße es, dass Allāh die Tür der Armut geschlossen hält, wenn man darauf achtet, den Menschen nicht zur Last zu werden und sich ihnen nicht unterwirft durch ständiges Verlangen.

Der Diener muss daher das Bewusstsein entwickeln, sich davor zu schämen, Dinge zu erfragen. Allāh, der Erhabene und Allgnädige, beschreibt diese Eigenschaft bei den Armen:
"Für die Armen, die auf dem Wege Allāhs gehindert werden, sich frei auf der Erde zu bewegen. Der Unwissende denkt, dass sie reich sind, aufgrund ihrer Zurückhaltung. Du erkennst sie an ihren Merkmalen; sie fragen die Menschen nicht nach ihren Verlangen." (Sūrah al-Baqara - Vers 273)

Sogar wenn man bedürftig ist und an der Grenze zwischen Armut und Versorgung steht, sollte man diese Haltung einnehmen. Der Grund ist auch aus diesem Prinzip ersichtlich. Es ist das Vertrauen darauf, dass Allāh sich um das Bedürfnis des Dieners kümmert, wenn man sich davor zurückhält, die Menschen zu fragen.

Annahme: Wenn ich die Tür der Fragerei geschlossen halte, um den Menschen nicht zur Last zu fallen und gleichzeitig so unabhängig von ihnen zu sein versuche, bewahrt mich Allāh vor der Abhängigkeit von ihnen und lässt die Tür der Armut, die mich dazu zwingen könnte, zu ihren Türen zu gehen, geschlossen. Ich versuche daher die Dinge, die ich selber erledigen kann, anderen nicht aufzulasten.

Der Prophet Mūsā floh aus Ägypten, weil er dort aufgrund eines unabsichtlichen Mordes gesucht wurde. Er floh ohne Proviant in die Wüste, in der er nie zuvor war und wanderte um die acht Tage hungernd umher und ernährte sich bloß von Blättern. Nach einer Zeit kam er an der Wasserstelle von Madyan an und fand eine Herde, die zum Trinken hergebracht wurde. Etwas weiter hinten standen zwei Frauen mit ihren Tieren. Da das Tränken von Tieren eine reine Männerarbeit war, ging Mūsā zu ihnen und fragte, warum sie hier seien. Sie sagten, dass sie ihre Tiere erst dann tränken wollen, wenn die Männer mit ihren Tieren davon gezogen sind und sie dies erledigen müssen, weil ihr Vater ein alter Mann ist, der dazu nicht mehr in der Lage ist. Mūsā nahm die Tiere, tränkte sie und gab sie den Frauen zurück und schickte sie weg. Dann ging er unter den Schatten eines Baumes und sprach das Bittgebet: "O Herr, was du mir an Gutem herabsendest, dessen bin ich bedürftig." Im Lauf der Zeit kam einer der Frauen zu Mūsā und lud ihn ein, damit ihr Vater ihn für seine Arbeit belohnen kann. Er ging zu ihrem Vater, erzählte seine Situation und bekam das Angebot, 8-10 Jahre dort zu arbeiten und einer seiner beiden Töchter zu heiraten. (Ausführlichere Darstellung in Sūrah al-Qaṣaṣ, Verse 1-28)

Wichtig hierbei sind folgende Punkte, die auch bei den späteren Prinzipien von Bedeutung sind: 
1. Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, kam an der Wasserstelle an und fragte niemanden nach Essen oder etwas anderes, obwohl er klar in einer Notsituation war.
2. Er sah eine Situation, die nicht gepasst hat und hat etwas unternommen, um etwas gerade zu stellen.
3. Nachdem er den Frauen geholfen hat, hat er von ihnen weder Geld noch Essen verlangt. Stattdessen schickte er sie weg und bat Allāh um das Gute, ohne es zu definieren.

Der Diener sollte daher die Dinge, die er selber erledigen kann, sei es auch nur eine Kleinigkeit, selber erledigen und andere nicht aus Gemütlichkeit darum bitten.

2. Die Angebote des Schicksals wahrnehmen


Aus der Geschichte von Mūsā geht das nächste Prinzip hervor. Es geht um die Art und Weise, wie der Diener mit Allāh eine Art Handel betreibt. Als Mūsā Ägypten verlassen hatte, sprach er ein Bittgebet um Rettung. Und als er in der Wüste umher ging, hoffte er von Allāh die Weisung/Führung. Auf das Bittgebet und die Erwartung folgte eine Aufgabe, wo er seine Kraft und seine Energie investiert hat, um anschließend unter dem Baum mit Allāh "abzurechnen", indem er sein Bedürfnis bescheiden zum Ausdruck brachte.

Daraus folgt das zweite Prinzip: Um das Gute zu erlangen und um das zu erlangen, was Allāh Seinen Dienern versprochen hat, muss man bereit sein, sich selbst für Allāh abzumühen. Daher muss der Diener jede Aufgabe und jede Einladung zum Guten wahrnehmen, wenn sie für ihn auf seinem Schicksalsweg positioniert wurde. Denn die Aufgaben, die auf den Weg gelegt werden, sind nicht durch uns selber bestimmt worden. Wenn Allāh somit eine Gelegenheit auf den Lebensweg des Dieners legt, dann ist das wie eine individuelle Verpflichtung, die zuerst erfüllt werden muss, bevor Allāh dadurch eine Tür zum Guten eröffnet.

Es ist wichtig, dass man in Anbetracht dieses Prinzip niemals nein sagt bzw. sehr gut überlegt, bevor man nein zu einer Aufgabe oder Einladung des Schicksals sagt. Jedes Nein kann Grund dafür sein, dass eine Tür zum Guten geschlossen bleibt.

Annahme: Ich investiere meine Kraft und Energie in eine für mich bestimmte Aufgabe im Schicksal und erwarte von Allāh eine Rückwirkung.

Es gibt zahlreiche Überlieferungen, in denen der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, immer wieder betont, dass Allāh seinem Diener hilft, wenn der Diener seinen Brüdern hilft. Dass Allāh die Fehler bedeckt, wenn der Diener die Fehler seiner Brüder bedeckt. Diese und solcherlei vieler Überlieferungen deuten darauf hin, dass die Einsätze für die Glaubensgeschwister in gleicher und/oder besserer Form auf einen wieder zurückkommen werden.

3. Die Erwartungen anpassen


Allāh, der Erhabene und Vollkommene, beschreibt die Einstellung derjenigen, die auf Seinem Wege spenden wie folgt:

"Und sie speisen, trotz der Liebe zu dem (was sie zu speisen geben), die Bedürftigen, die Weisen und die Gefangenen. 'Wahrlich, wir speisen euch nur um Allāhs Angesicht. Wir möchten von euch weder Lohn noch Dank.'" (Sūrah al-Insān - Verse 8-9)

Der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, sagte:
"Kein Lohn für denjenigen, der (den Lohn) nicht erwartet." [Überliefert bei al-Bayhaqī]
Al-Munāwī kommentierte den Hadīṯ folgendermaßen: "D.h. kein Lohn für denjenigen, der mit seiner Tat nicht beabsichtigt hat, Allāhs Angelegenheit zu erfüllen."

Es ist wichtig, dass der Diener bei seinen guten Taten nur von Allāh einen Lohn erwartet, weil er sonst der Gefahr ausläuft, den Lohn seiner guten Tat zu verderben. Es ist genau so wichtig, dessen bewusst zu werden, dass das Erwarten von Allāh, dass Er Seine Versprechen einhalten wird, mit Gewissheit auch zu einem Resultat führen wird.

Allāh, voller Gnade und Huld ist Er, sagt:

"Das Versprechen Allāhs! Allāh bricht Sein Versprechen nicht; doch die meisten Menschen wissen es nicht." (Sūrah ar-Rūm - Vers 6)

Wenn man also berechtigt etwas von Allāh erwartet, ist es auch somit garantiert, dass Er dieser Erwartung auf beste Art und Weise gerecht wird. 
Diese Einstellung beinhaltet sehr sehr viele Vorteile für das eigene Wohlbefinden. Darunter:
1. Dadurch, dass man von den Menschen keinen Dank oder Lohn erwartet, ist ihre Reaktion auf eine gute Tat gleichgültig. Man wird nicht enttäuscht, weil man keine Gegenleistung erwartet.
2. Man fängt an, den Menschen gerne zu helfen, weil man weiß, dass man von Allāh eine gute Gegenleistung erwarten kann.
3. Die Menschen werden nicht mehr als Individuen relevant. In Bezug auf das zweite Prinzip heißt das, dass man die Menschen nur noch als Gelegenheit ansieht, seine Kraft und Energie in das Schicksal zu investieren. Man sieht die Menschen nur noch als Zugangstor für diesen Einsatz und rechnet nur noch mit Allāh ab. Dadurch ist man stets motiviert, den Menschen zu helfen.

Annahme: Allāh kümmert sich um alles auf dieser Welt und ich erstrebe einzig Sein Angesicht. Daher darf ich nichts bzw. nur wenig von seinen Geschöpfen erwarten und muss meine Erwartungen auf Ihn verlagern (insbesondere wenn es um gute Taten geht, da ich hierbei nur von Ihm den Lohn erwarten darf). Wenn ich etwas Gutes tue, ist das Vorhandensein oder das Fehlen der Anerkennung der Menschen absolut gleichgültig.

4. Bittgebete allgemein sprechen


Aus der erwähnten Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, geht auch dieses Prinzip hervor. Wir sehen, dass er trotz klarer Bedürfnisse (wie Hunger oder Orientierungslosigkeit) unter dem Baum lediglich um das Gute bat. Er definierte das Gute nicht in Form einer spezifischen Gabe. Das ist eine Eigenschaft, die wir bei vielen Bittgebeten der Propheten sehen können und es so erklärt wird, dass die Propheten sich davor geschämt haben, etwas Konkretes für sich selber zu erbitten. Der Gedanke hierbei ist, dass das Konkrete bzw. Spezifische nicht unbedingt gut für einen selbst sein muss. Daher ist man bescheiden und schränkt das Gute nicht auf die eigenen Vorstellungen ein, sondern überlässt Allāh die Bestimmung des Guten. Des Weiteren kann man natürlich um alle Dinge bitten, die klar und deutlich gut sind, wie das Paradies, die Rechtleitung usw.

Annahme: Das Spezifische auf dieser Welt kann gut als auch schlecht für mich sein. Daher maße ich mir nicht an, zu definieren, was gut für mich sein könnte und überlasse die Konkretisierung des Guten Allāh und bitte nur um allgemeine und absolut gute Sachen.

5. Die Versprechen Allāhs beobachten


Aus der Geschichte von Mūsā, Allāhs Friede auf ihm, können wir auch dieses Prinzip entnehmen. Allāh verspricht etwas und erfüllt Seine Versprechen auch, um die Gewissheit und Ruhe im Herzen des Gläubigen zu steigern.

Als Mūsā neu geboren wurde, wurde vom Pharao aufgrund einer Prophezeiung eines Wahrsagers bestimmt, dass alle männlichen Neugeborenen aus dem Stamm Banī Isrāʾīl nach der Geburt getötet werden sollen. Allāh gab der Mutter von Mūsā ein, dass sie Mūsā in den Fluss legen soll und dass Er Mūsa wieder zurückbringen und zu einem Propheten machen wird. Die Mutter tat dies, war jedoch voller Sorge und befahl daher ihrer Tochter, dass sie Mūsā verfolgen soll, um zu schauen, dass er irgendwo in sichere Hände gelangt. Die Frau des Pharaos fand Mūsā und schlug vor, ihn zum Sohn zu nehmen. Der Pharao stimmte zu, jedoch brauchte Mūsā noch eine Milchmutter. Allāh ließ es nicht zu, dass er die Milch von anderen Frauen annahm. So kam die Schwester und erklärte ihnen, dass sie eine Familie kennt, die ihn stillen kann und verwies auf die Mutter von Mūsā.

Allāh, der Erhabene und Gnädige, sagt dazu:

"Dann gaben Wir ihn seiner Mutter zurück, damit ihr Auge mit Freude erfüllt würde und damit sie sich nicht grämte und damit sie wissen sollte, dass Allāhs Versprechen wahr ist. Jedoch die meisten von ihnen wissen es nicht." (Sūrah al-Qaṣaṣ - Vers 13)

Allāh erfüllt seine Versprechen und steigert somit die Ruhe und die Gewissheit in den Herzen der Gläubigen. Diesen Prozess sehen wir bei Mūsā selber, als er zum Propheten berufen wurde.

Am Anfang seiner Berufung ereignet sich die Geschichte wie folgt:
"Und da rief dein Herr zu Mūsā: 'Geh zu dem Volk der Ungerechten, dem Volke Pharaos. Wollen sie denn nicht gottesfürchtig sein?' Er sagte: 'Mein Herr, ich fürchte, sie werden mich der Lüge bezichtigen, und meine Brust wird beklemmt, und meine Zunge versagt zu sprechen. Schicke darum (auch) zu Hārūn. Auch haben sie eine Schuldklage gegen mich erhoben, deshalb fürchte ich, dass sie mich umbringen werden.' Er sprach: 'Keineswegs! Geht nur beide mit Unseren Zeichen hin. Wir sind mit euch; Wir werden mit euch zuhören.'" (Sūrah aš-Šuʿarāʾ - Verse 10-15)

Nachdem Mūsā seine Botschaft überbracht hat und viele Jahre in Ägypten versucht hat, zur Wahrheit zu rufen und Allāh viele klare und deutliche Zeichen und Katastrophen über Ägypten ziehen ließ, hat Mūsā die Macht und Kraft Allāhs immer wieder in klarer Form zu sehen bekommen und seine Gewissheit und seine Sicherheit in Allāh sind somit gestiegen. Bis zum Tag, wo Allāh den Befehl erteilt hat, dass Mūsā mit dem Stamm Banī Isrāʾīl in der Nacht ausziehen soll und Pharao sie am Morgen mit seiner Armee dann verfolgte, bis er sie am Meer eingeholt hat.

"Als die beiden Scharen einander ansichtig wurden, sagten die Gefährten Mūsās: 'Wir werden sicher eingeholt werden.' Er sagte: 'Keineswegs! Mein Herr ist mit mir. Er wird mich richtig führen.' Darauf offenbarten Wir Mūsā: 'Schlage das Meer mit deinem Stock.' Und es teilte sich, und jeder Teil erhob sich wie ein gewaltiger Berg.' Und Wir ließen alsdann die anderen nahe herankommen. Und Wir erretteten Mūsā und alle, die mit ihm waren. Dann ertränkten Wir die anderen." (Sūrah aš-Šuʿarāʾ -  Verse 61-66)

Während Mūsā am Anfang seiner Berufung noch voller Ängste und Zweifel war, und Allāh ihn mit dem deutlichen Ausruf "Keineswegs!" besänftigte, ist er am Ende derjenige, der sein Volk mit demselben Ausruf besänftigt. Die Jahre, in denen er somit beobachten konnte, wie das Versprechen Allāhs in Erfüllung geht, haben sein Herz gefestigt und seine Gewissheit gesteigert. Daher sagen die Gelehrten, dass alle Propheten diese Stufen der Gewissheit aufsteigen und mit einer vollkommenen und edlen Stufe dann von dieser Welt gehen.

Annahme: Wer immer wieder sieht, dass Allāhs Versprechen erfüllt werden, dessen Glaube und Gewissheit nehmen zu.

Daher muss der Diener immer genau beobachten und realisieren, wie Allāh Seine Versprechen einhält und verwirklicht, damit er staunen und Allāhs Plan bewundern kann, damit die Herzen in ihrer Festigkeit zunehmen und die Gewissheit steigen kann.

Allāh, der Erhabene, sagt daher:
"...und was die Gnade deines Herrn angeht, so erzähle davon.“ (Sūrah aḍ-Ḍuḥā - Vers 11)

Der Diener muss und soll nicht nur sein eigenes Leben beobachten, sondern soll sich austauschen und anderen seine Eindrücke von Allāhs Planmäßigkeit erzählen und auch von den Ereignissen um ihn herum lernen. Wenn die Gläubigen untereinander darauf aufmerksam machen, wie Allāh die Dinge einrichtet, entsteht eine kollektiver Anstieg dieser Herzensruhe und des Vertrauens auf Allāh.

6. Sich nicht beschweren


Wenn es um Sorgen und Not geht, so ist auch hier einzig und allein die Tür unseres Herrn zu ersuchen.

Allāh, der Weise und Vollkommene, erzählt uns von den Worten Yaʿqūbs, Allāhs Friede auf ihm:

"Er (Yaʿqūb) sagte: 'Ich beklage nur meinen Kummer und meinen Gram vor Allah, und ich weiß von Allah, was ihr nicht wisset.'“ (Sūrah Yūsuf - Vers 86)

Ibn Qayyim al-Ǧawziyya sagte: „Die Geduld ist das Zurückhalten der Zunge im Beschweren bei jemand anderen außer bei Allāh.“ [ʿUddat aṣ-Ṣābirīn]

Die sinnlose Beschwerde und das Klagen bei anderen außer bei Allāh führt dazu, dass Allāh sich dem Problem nicht zuwendet. Das liegt auch auf der Hand, weil man einfach sein Problem nach außen verlagert. Hierunter fallen natürlich nicht die sinnvollen Beschwerden, wenn man zu einem Gericht geht oder etwas bewegen möchte mit der Beschwerde. Es geht hier um das Jammern und das Klagen oder was man auch als "Luft-Rauslassen" bezeichnet. Man will einfach irgendwie irgendjemandem seine Sorgen erzählen und macht damit das Problem nicht besser. Dadurch, dass man die Lösung bei den Geschöpfen sucht, obwohl es auf der Hand liegt, dass sie für dieses gewisse Problem keine Lösung haben werden, führt dazu, dass Allāh sich diesem Problem nicht widmet und den Diener damit allein lässt.

Die Negativität wird durch die Beschwerden aufrecht erhalten und das Herz wird erneut immer wieder an das Negative erinnert. Somit weilt das Problem unnötig lange und man lässt eine alte Wunde niemals richtig verheilen.

Annahme: Wenn ich mich nicht beschwere und ruhig und geduldig den Kopf vor der Bestimmung Allāhs senke, werde ich zum rechten Zeitpunkt eine Lösung durch Allāh bekommen.

7. Sich nicht selbst darstellen bzw. profilieren


Unter den Stamm Banī Isrāʾīl gab es einen reichen Mann namens Qārūn, welcher sich hochmütig mit seinen Reichtümern darstellte und von sich behauptete, dass er das alles durch sein Wissen erlangt hat.

"Er (Qārūn) sagte: 'Es (der Reichtum) wurde mir nur um des Wissens willen, das ich besitze, gegeben.' (Vers 78) [...]
Dann ließen Wir ihn von der Erde verschlingen, und (auch) sein Haus; und er hatte keine Schar, die ihm gegen Allāh helfen konnte, noch konnte er sich (selbst) retten. Und jene, die sich noch tags zuvor an seine Stelle gewünscht hatten, sagten: 'Ah sieh! Es ist wahrlich Allāh, Der denen von Seinen Dienern die Mittel zum Unterhalt erweitert und beschränkt, denen Er will. Wäre uns Allāh nicht Gnädig gewesen, hätte Er uns (von der Erde) verschlingen lassen. Ah sieh! Die Ungläubigen (Verleugner) haben nie Erfolg.' Jene Wohnstatt im Jenseits! Wir geben sie denen, die weder Selbsterhöhung auf Erden noch irgendein (anderes) Verderbnis begehren. Und der Ausgang ist für die Gottesfürchtigen. Wer Gutes vollbringt, soll Besseres als das erhalten; wer jedoch eine böse Tat vollbringt - jene, die böse Werke tun, sollen nur gemäß dem belohnt werden, was sie getan haben. (Sūrah al-Qaṣaṣ, Verse 81-84)

Qārūn hat also den Fehler gemacht, dass er prahlerisch war und gedacht hat, dass er selber die Quelle seines Vermögens sei. Er hat somit Allāh als den Bewirker und als Quelle jeder Kraft, Macht und Mittel verleugnet. Daher ist es von wichtiger Bedeutung, dass der Diener begreift, dass er nicht die Wirkung erzeugen kann und das dies einzig in Allāhs Hand liegt. Der Mensch kann nur seinen Willen aufbringen, etwas zu leisten. Ob diese Sache aber zum Erfolg führt oder nicht, liegt nicht in seiner Hand.


Und Allāh, der Erhabene, erzählt von den Worten, die Šuʿayb, Allāhs Friede auf ihm, äußerte:"
Und ich habe keinen Erfolg, außer durch Allāh. Auf Ihn verlasse ich mich und wende mich Ihm zu.“ (Sūrah Hūd - Vers 88) 

Und an einer anderen Stelle heißt es:
"Nicht ihr habt sie getötet, sondern Allāh tötete sie. Und nicht du hast (den Pfeil) abgeschossen, sondern Allāh gab den Schuss ab; und prüfen wollte Er die Gläubigen mit einer schönen Prüfung von Ihm. Wahrlich, Allah ist Allhörend, Allwissend." (Sūrah al-Anfāl - Vers 17)

Annahme: Allāh ist derjenige, der alle Wirkung zustande bringt. Es bringt daher nichts, mich selbst in den Vordergrund zu bringen, als ob meine Person eine Wirkung verursachen könnte. Die Herzen liegen in Allāhs Hand und auch die Wirkung und das Verhältnis aller Dinge zueinander kommen nur durch Seine Bestimmung zustande. Ich muss lediglich bereit sein, die Dinge zu erledigen und ihnen gerecht zu werden.

8. Die Verantwortungen meiden


ʿAbdurraḥman ibn Samura überliefert, dass der Prophet, Allāhs Friede und Segen auf ihm, zu ihm sagte: „Frage nicht nach der Führung. Wenn du es durch die Fragerei bekommst, wirst du dafür verantwortlich sein. Wenn du es nicht durch das Fragen bekommen hast, wird dir dabei geholfen.“ [Bei Buḫārī überliefert]

Die Erklärung dieser Überlieferung liegt in der Einstellung der Menschen. Bittet man um eine Position und kommt in Schwierigkeiten, werden die Menschen erwidern, dass man doch selber an diese Position wollte. Wenn man aber in eine Position gebeten wird, werden bei Schwierigkeiten all diejenigen, die einen in diese Position bringen wollten, bereit zur Untersützung sein.

Der Muslim sollte nicht nach Verantwortungen suchen, denn jede Verantwortung ist eine weitere Last am Jüngsten Tag, nach der man gefragt werden wird. Daher belastet sich der Diener nicht mit unnötigen Aufgaben, sondern schaut, ob die Verantwortungen für ihn bestimmt sind. Entweder wird er dazu aufgefordert bzw. darum gebeten, oder er findet eine Situation, in der er sich selbst einbinden muss, weil er einer Verantwortung gewachsen ist und dafür die notwendigen Qualifikationen besitzt. Aber aktiv nach Verantwortung oder Stellung zu streben, ist eine Sache, die der schlaue Diener meiden muss.

Annahme: Ich belaste mich nicht unnötig mit Verantwortungen, über die mich Allāh am Jüngsten Tag befragen wird. Wenn Allāh mir aber eine Aufgabe auferlegt, so muss ich diese wahrnehmen und ausführen und erwarte auch Seine Hilfe und Unterstützung, da Er mich dafür ausgewählt hat.

9. Den Prinzipien treu sein


Da die Grundidee dieser ganzen Prinzipien darauf aufbaut, dass man seine Abhängigkeit von Allāh begreift und sich von den Geschöpfen unabhängig macht, bedarf es hierbei einer strengen Prinzipientreue. Denn es kann nicht sein, dass man für Allāh gewisse Prinzipien einhält, aber in der Anwesenheit von Person X oder der Umgebung Y anfängt diese nicht mehr einzuhalten. Daher müssen die Prinzipien ganzheitlich gelebt und begriffen werden. Anhand der Einflüsse der Personen oder Umgebungen kann der Diener schauen, ob diese Person oder diese Umgebung ihm bei dem Streben nach Allāhs Nähe zu einem Hindernis oder zu einer Bremse werden. Wenn sich dies herausstellt, kann der Diener Maßnahmen ergreifen, um eine bestmögliche Distanz zu diesen Personen oder Umgebungen aufzubauen. Andernfalls muss er sein Verhältnis zu dieser Person oder dieser Umgebung anpassen, damit er seinen Prinzipien treu sein kann, ohne diese Person oder Umgebung ganz zu beseitigen, weil das auch nicht immer realisierbar ist.


Zusammenfassung der Prinzipien


1. Fragerei meiden und somit eigenständig/selbstständig sein 
2. In das Schicksal investieren, indem man die Aufgaben wahrnimmt 
3. Resultate nur von Allāh erwarten 
4. Allgemein Gutes erbitten und offen sein für die Konkretisierung 
5. Allāhs Versprechen beobachten und ihre Erfüllung reflektieren 
6. Sich nicht beschweren | geduldig und dankbar sein 
7. Keine Selbstdarstellung oder Profilierung 
8. Verantwortungen meiden, bis sie schicksalhaft für einen bestimmt werden 
9. Prinzipientreu sein

Mit diesen Prinzipien soll eine Art Leitfaden ermöglicht werden, an dem sich der Diener orientieren kann, um eine Verbesserung seiner Beziehung zu Allāh zu erreichen. Sie sollen dazu dienen, dass das Bewusstsein über das Vertrauen auf Allāh deutlicher werden soll und dass man auch durch gewisse Regeln weiß, wie man seinen Teil als Diener erfüllen muss, um von Allāh eine Gegenleistung oder Reaktion zu erwarten.

Ich bitte Allāh dieses Werk zu segnen und vielen Menschen zugänglich zu machen. Ich habe persönlich sehr viel Zuversicht in diese Prinzipien und habe diese durch Erproben und Beobachten klar und deutlich immer wieder bestätigt bekommen. Daher erhoffe ich, dass der Inhalt dieses Artikels allen ersichtlich wird und es mit Allāhs Hilfe und Erfolg auch dazu dient, zur Handlung und zur Umsetzung anzuregen.

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